Grim
gesucht habt«, erwiderte er. »Doch ich kann es mir denken angesichts der Umstände, die diese Welt erschüttern, und es tut mir leid, euch sagen zu müssen, dass die Rhak’ Hontay fort sind. Ich erinnere mich gut an die Ersten Fünf … Früher waren sie häufig wegen Beschwörungen bei mir, und lange Zeit wusste ich nicht, wer sie waren – keiner wusste es außer ihnen selbst. Sie lebten im Verborgenen, sie schützten ihre Identität. Doch niemand sonst kam so häufig wegen schwierigster Rituale, und schließlich konnten sie ihr Geheimnis nicht mehr vor mir verbergen.«
Ein schwaches Lächeln glitt über seine Lippen, als er fortfuhr: »Feysthar mit dem schlohweißen Haar, der abseits einer Schlacht niemals ein Wort über die Lippen brachte, weil seine Stimme zu schrecklich war; Ingynon mit der Narbe quer über der Wange vom Kampf gegen den Grauen Dschinn; Andraka, deren Blick Stein und Fleisch durchbohren konnte; Samhur mit den Augen des Frosts, dessen Rachgier unersättlich war, und Oreyon, der Jüngste von ihnen, der in den Feuern starb.« Als er Atem holte, verzog sich sein Gesicht wie unter Schmerzen. »Ja«, murmelte er. »Feysthar, Ingynon, Andraka, Samhur und Oreyon – die fünf Ersten Jäger dieser Welt. Mit ihrem Bund zerbrach die Lhor’na Phrakam’thin.«
Lyskian betrachtete ihn ohne Regung, doch in seinem Blick tanzten schwarze Flammen. »Was ist mit ihnen geschehen?«
»Thorons Schergen fanden die Akademie«, erwiderte Alvinor mit rauer Stimme. »Sie brannten den Ort nieder, der einst die Heimat der Jäger gewesen war und die Quelle des Wissens über die Dämonen unserer Welt. Oreyon fiel in der Schlacht, und die übrigen Jäger beschlossen, sich endgültig in die Schatten zurückzuziehen. Da sie mir vertrauten, baten sie mich, ein Auge auf die Akademie zu haben, um sie vor Plünderern und dem Zorn der Dämonen zu schützen und … um Oreyons Grab zu pflegen. Ich willigte ein, und seither halte ich mein Versprechen.«
Grim ließ seine Gelenke knacken. »Ich wusste, dass Thoron seine Finger im Spiel hatte«, sagte er finster. »Sein Hass hat tiefe Narben ins Antlitz der Anderwelt geschlagen.«
Mia nickte kaum merklich, als sie an diesen grausamen und verzweifelten König der Gargoyles dachte, an die Hinrichtung des Hybriden, der sie beigewohnt hatte, und an die Menschen, die Thoron heimlich in seinen Verliesen gehalten hatte, um ihre Träume zu stehlen. Viele von ihnen hatten noch immer eine tiefe Furcht vor den Gargoyles, der Dunkelheit oder dem Klang ihrer eigenen Stimme. Remis seufzte tief, als hätte auch er sich gerade an diese Dinge erinnert, und auch die Hartide schwiegen, als würden sie die Betroffenheit spüren, die in der Luft lag. Nur Lyskians Gesicht war so kalt, dass Mia fröstelte.
»Erzählten sie Euch, was damals geschah?«, fragte er. »Davon, wie Oreyon starb?« Mia wusste, dass keinem außer vielleicht Grim die Veränderung an Lyskian auffiel, und doch schien es ihr, als würde sie einem anderen gegenübersitzen als noch vor wenigen Augenblicken. Er saß da wie ein Mensch, aber er war ein Vampir, ein hochintelligenter, eiskalter Mörder, der weder Moral noch Gewissen kannte angesichts seiner eigenen Gesetze. Sie zog die Brauen zusammen. Warum gingen ihr gerade jetzt diese Gedanken durch den Kopf? Lag es an der Art, wie er Alvinor ansah, wie er die Hand auf die Lehne des Sessels legte? Oder daran, dass die Ascheflocken nicht an seinen Fingern haften blieben, weil diese zu kalt waren dafür?
Alvinor schaute Lyskian nicht an. Er saß da, zusammengesunken und müde, und nickte kaum merklich. »Ingynon schilderte mir die Umstände seines Todes. Er erzählte mir von dem Feuer, von der klaffenden Wunde in Oreyons Brust, und er wiederholte dessen letzte Worte. Ich erinnere mich bis heute an das Entsetzen in Ingynons Blick – in diesen klaren, kalten Augen, die niemals zuvor auch nur die geringste Regung erahnen ließen. Der Verlust Oreyons hat den Bund der Jäger in den Abgrund gerissen, so viel ist sicher.«
Mia fuhr sich an die Brust. Auf einmal spürte sie wieder den Schmerz der Verwundung, hörte das Rauschen der Flammen um sich herum und fühlte die Worte über ihre Lippen dringen. Die Kälte des Todes griff nach ihr, aber auf eine raue, grausame Art, und als ihr der Atem stockte und Schatten in ihren Blick traten, da wusste sie erstmals, was für ein Gefühl es gewesen war, das sie während Oreyons letzten Momenten durchfahren hatte. Es war nicht allein Schmerz gewesen
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