Grim
ein Ort des Schreckens – angefüllt mit Düsternis und Zorn. Nein, Verus hat sich nicht in die Stadt der Flammen zurückgezogen mit ihren pechschwarzen Gassen und den Fenstern, die wie Augen sind. Seine Wege führten tiefer in die Finsternis, sie führten in das einstige Herz Rha’manthurs. Mein Auge fand ihn im Fluchturm der Dämonen – in Kharamon, der Feste des Zorns.«
Mia zog die Schultern an. Grim hatte ihr von diesem Ort erzählt, diesem Turm der Schrecken, der einst der Herrschersitz der Dämonen gewesen war, weit unter den Straßen Prags. Noch immer sollten Schwarze Flüche über seine Mauern ziehen, und sie erinnerte sich an die Zeichnungen, die sie in den Büchern Ghrogonias gesehen hatte – Abbilder Rha’manthurs von solch wilder Schönheit, dass sie meinte, den Blutgeruch riechen zu können, der noch immer durch die Straßen zog.
»Die Feste des Zorns hat sich verändert seit der Herrschaft der Dämonen«, sagte Lyskian. »Seit langer Zeit schon birgt sie Gefahren, die selbst uralte Dämonen fürchten. Aus welchem Grund sollte Verus sich dorthin zurückziehen?«
Samhurs Lächeln war wie ein Stich. »Ihr wisst wenig von Dämonen seines Schlages. Er fürchtet die Schatten nicht – er bittet sie zum Tanz. So wie wir Jäger es tun.« Er griff nach seinem Mantel. »Wir dürfen keine Zeit verlieren. Verus ist gewarnt, er weiß, dass ich ihm auf den Fersen bin, und der Turm der Flüche ist ein Ort von großer Macht. Er wird … «
Weiter kam er nicht. Ein ohrenbetäubendes Dröhnen ging durch den Raum, dicht gefolgt von einem Beben, das Mia von den Füßen riss. Etwas brach aus dem Inneren der Erde, der Boden klaffte auseinander, und Ströme aus grünen und gelben Flammen leckten über die Wände und drangen in sie ein. Die Felsen knackten gefährlich, schon begann der Stein zu bröckeln, und der flammende See der Decke trübte sich in unheilvollem Schwarz. Einzig Samhur stand reglos inmitten des Chaos. Sein Blick durchdrang das Feuer und umfasste Mia.
»Lauft!«, brüllte er und riss sie mit der Wucht seiner Stimme auf die Beine. »Lauft um euer Leben!«
Kapitel 25
Mit einem mächtigen Knall brach das Feuer aus dem Riss. Funken flogen durch die Luft, Grim spürte sie wie glühende Nadelstiche auf seiner Haut, und er roch den uralten Brodem jenes Zaubers, der mit unbändigem Zorn aus den Tiefen der Erde hervorstieß. Eilig griff er nach Mias Hand und zog sie hinter den anderen aus dem Raum. Es war Dämonenkraft, die hinter ihnen aufwallte, ein Fluchzauber von gewaltiger Macht, der sich Samhurs Schutz entgegenwarf und ihn zu flirrendem Staub zerrieb, und kaum, dass sie den Korridor hinter sich gelassen hatten, stürmte ihnen das Feuer nach.
Mia atmete schnell an seiner Seite. Eiskalte Winde umtosten sie, weitere Schutzzauber des Jägers, die sie vor den Flammen schützen sollten. Gelächter klang in dem Feuer wider, Schreie in Todesfurcht und das Wispern unzähliger verdammter Kreaturen, und Grim meinte, das Donnern von Hufen und den glühenden Atem gewaltiger Harpyien fühlen zu können. Krachend schlug Samhur die Geheimtür aus den Angeln und stürmte aus seinem Haus, doch die Straßen Prags waren zerrissen. Überall schlugen Flammen aus dem Boden, sie erhoben sich in die Luft und glitten über die Gebäude, die sich unter ihrem Griff wie durch Zauberhand verwandelten: Schwarze Dornen wuchsen aus den Fassaden, die Steine wurden zu schuppiger Haut, Türme aus Knochen schossen in den Himmel oder neigten sich zu den Flüchtenden herab, als wären sie Saurierhälse, und die Schatten hinter den Fenstern schwollen zu lauernden Ungeheuern, die ihre zerrissenen Leiber gegen die Wände pressten.
Geduckt eilte Grim dem Jäger nach. Er ließ Mias Hand nicht los, Remis klammerte sich an seinen Mantel, während Lyskian Radvina und Edwin umfasst hielt und Jaro vor sich hertrieb. Der Boden unter ihren Füßen bebte, Krusten aus Stein zogen sich über die Stadt, ließen die Kirchtürme als zerbrochene Speere in die Nacht ragen und verwandelten ehemalige Wohngebäude in seltsam organische Geisterhäuser. Geysire aus Feuer schossen aus den Rissen im Boden, und immer wieder stoben Flammenschleier auf sie zu, die erst im letzten Moment von einem mächtigen Zauber Samhurs zerrissen wurden. Grim spürte die Kraft dieses Feuers, als würde es durch seine Adern schießen. Vergessene, tödliche Flüche waren es, die sich in zügellosem Chaos entluden, und sie riefen mit betörenden Stimmen nach ihm. Er verstand ihre
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