Grim
brannte in seinem Rachen. Es war, als hätte er Wasser eingeatmet, und obwohl er gleich darauf wieder Luft bekam, schien es ihm, als wäre ein schwerer Stein in ihn hineingesunken und würde ihn nun tiefer ziehen, hinab auf den Grund dieser Stadt.
Unwillig fuhr er sich über die Augen und dachte an die Friedhöfe von Paris, diese riesigen Totenstädte mit ihren Gräbern, Kapellen und Mausoleen, aus denen immer wieder eisige Winde brachen und urplötzlich nach jedem griffen, der zu dicht an ihnen vorüberging. Dieselbe wartende Stille lauerte auch hier zwischen den Gebäuden Rha’manthurs. Schatten und Rauch glitten über ihn hinweg, und er erinnerte sich an die Katzen, die über die Gräber von Père Lachaise huschten, die einzige Regung, die die nächtliche Stille durchbrach. Grim unterdrückte den Hustenreiz, als ihm der Geschmack von Verwesung auf die Zunge kroch. Rha’manthur war eine verfluchte Totenstadt.
Du wirst den Unterschied zwischen tot und untot niemals begreifen , sagte Samhur in seinen Gedanken. Und außerdem hast du ohnehin unrecht. Diese Stadt lebt – sieh genauer hin.
Grim wollte gerade eine Bemerkung über die Unverschämtheit fallen lassen, mit der Samhur schon wieder seine Gedanken gelesen hatte, doch da hielt der Jäger inne und legte die Hand auf eine Häuserfassade. Er murmelte einen Zauber, und da glomm das Wurzelgeflecht unter seinen Fingern auf und lief wie eine blutende Wunde über das Haus hinweg. Grim trat näher, und kaum, dass er es berührt hatte, fuhr ein stechender Schmerz durch seine Fingerspitzen. Erschrocken zog er die Klaue zurück, Brandblasen zogen sich über seine Haut, und er fühlte deutlich die uralte Macht, die in den Wurzeln ruhte. Samhurs Blick bestätigte seinen Gedanken: Die archaische Kraft der Dämonen war es, die diesen Ort einst in Fluchfeuer gehüllt und ein keuchendes, verrauchtes Dickicht geschaffen hatte, das Grim den Atem nahm. Sie setzten ihren Weg fort, und er nahm erst nach einer Weile die Schemen wahr, die aus den Wurzeln brachen wie geraunte Flüche und sich auf unheilvolle Weise mit dem Schatten des gewaltigen Turms verbanden, der in Eiseskälte über die Dächer flammte. Er färbte die Steine grau wie faulendes Laub und schickte einen Gedanken in Grims Kopf, der ihn schaudern ließ. Diese Glut führte zur Feste des Zorns. Sie war das pechschwarze, verfluchte Herz dieser Stadt.
Erst als Samhur stehen blieb, sah Grim auf. Sie standen vor einem Herrenhaus mit breiter Veranda. Raureif zog sich über die Stufen, und Grim meinte, ein Flüstern zu hören, das aus den dunklen Fenstern drang – ein Ton wie Gesang über den Tundren der Östlichen Welt. Sein Herz setzte für einen Schlag aus, als er begriff, vor wessen Tür sie standen, doch Samhur bedachte ihn mit einem abfälligen Blick.
Sie ist die Herrin dieser Stadt, sagte der Jäger ruhig. Niemand tut auch nur einen Schritt, ohne dass sie es duldet, und du kannst sicher sein, dass sie längst weiß, dass wir Rha’manthur betreten haben, ja, mehr als das: dass wir in diesem Augenblick vor ihrer Tür stehen. Skarnaara bleibt nichts verborgen, das in den Schatten geschieht. Sie ist die Zarin der Nacht, und …
Remis knetete seine Hände, dass seine Knöchel knackten, und fixierte die Eingangstür wie eine Maus die lauernde Katze. Und sie ist gefährlich , flüsterte er.
Samhur lächelte kaum merklich. Sie ist mächtig, erwiderte er. Doch wie ich euch schon sagte: Sie ist nicht die größte Gefahr hier unten. Die Feste des Zorns ist für Dämonen bestimmt, für niemanden sonst. Keinen Schritt werden wir in die Tunnel der Schatten tun, wenn sie uns diese Finsternis nicht öffnet. Doch es wird nicht leicht sein, sie zu überzeugen. Vielleicht ist es ganz und gar unmöglich.
Grim seufzte. Er hatte den Gedanken verdrängt, hatte sich selbst unsinnigerweise davon zu überzeugen versucht, dass es einen anderen Weg zu ihrem Ziel geben mochte als einen Bittgang zur ältesten Vampirin dieser Welt. Ja, er hatte sich Illusionen hingegeben wie ein törichter Krieger der Grünen Faust – und er verachtete sich dafür. War er nicht alt genug, um eines nicht ganz genau zu wissen? Es konnte immer noch weiter abwärts gehen, und das tat es unweigerlich, wenn auch nur die leiseste Chance darauf bestand. Er hatte es von Anfang an gewusst.
Gerade wollte Samhur die Treppe betreten, als ein zerlumpter gelber Kater vom Geländer herab direkt vor seine Füße sprang. Aus seinem räudigen Fell stachen in bohemianischer
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