Grim
die Schrecken, die unter ihrer Herrschaft geschehen können.« Er hielt inne, als Remis erstaun t die Brauen hob. »Nicht alle Kobolde stinken nach Schatten und G ier«, sagte Lheki leise. »Und nicht alle Dämonen lechzen nach Chaos und Tod.« Er wandte sich erneut Samhur zu. »Es muss mich nicht kümmern, in welche Finsternisse Ihr Euch stürzt. Aber sagt mir eines, Jäger meines Blutes: Auf wessen Seite steht Ihr? Wenn ich Euch über diese Schwelle lasse – werdet Ihr für die Freiheit der Welt kämpfen, für die Menschen, die nie die Feinde meines Volkes waren, für die Gargoyles, denen wir fremd geworden sind? Werdet Ihr in die Schlacht ziehen für das, was Ihr einst geschworen habt? Oder seid Ihr nicht besser als sie?«
Grim holte Atem, gegen seinen Willen hatte er die Luft angehalten. Remis schaute gespannt von einem zum anderen, nur Samhur stand in seiner kalten Reglosigkeit da und starrte auf den Kater hinab. Etwas ging durch seinen Blick, Grim konnte nicht sagen, ob es Zorn oder Ungeduld war oder etwas anderes, das sich tief in den Schatten des Jägers verbarg. Dann neigte Samhur den Kopf.
»Uns trennen Welten«, erwiderte er. »Ich wusste nie viel von Gut oder Böse und nichts von den Werten, die manche deines Volkes einst so hoch achteten. Du hingegen ahnst nichts von den Finsternissen, aus denen ich wiederkehrte. Und doch haben wir eines gemeinsam, Kind des Zorns: den Willen, die Freiheit zu erhalten als das, was sie sein soll: ein Gut aller. Deswegen bin ich zurückgekehrt. Deswegen werde ich den goldenen Schatten dorthin schleudern, wohin er gehört: in die Flammen der diamantenen Feuer. Und ich sage es dir ein letztes Mal: Jeder, der mir auf diesem Weg entgegentritt, jeder, der meine Schritte hindert, ob wissentlich oder nicht, jeder, der nicht mein Freund sein kann in diesem Kampf, ist unwiederbringlich mein Feind.«
Grim fühlte Remis’ Herzschlag an seinem Hals und beobachtete den Blickwechsel zwischen Dämon und Jäger. Samhur schickte seine kalte Glut auf den Kater hinab, doch dieser ließ sie von sich abgleiten, als wäre sie nichts als Wasser. Schließlich lächelte er sein rätselhaftes Lächeln. »So tretet ein«, sagte er und brachte mit einem Schlag seines Schwanzes die Glut des Hauses zum Erlöschen. Dann wandte er sich um, öffnete durch leichtes Nicken die Eingangstür und lief ihnen voraus.
Das Haus empfing sie mit kühler Dämmerung. Scherben lagen auf dunklen Teppichen, vereinzelter Fackelschein ließ sie glitzern wie Eis, und Grim kam sich vor, als wäre er auf einem Friedhof durch eine jener Türen getreten, die verrostet in den Angeln hingen und nur noch halbherzig den Weg versperrten. Wohin, so hatte er sich schon oft gefragt, würde ein Menschenkind kommen, das durch eine solche Tür trat? Ins Licht, in die Schatten, in ewiges Zwielicht vielleicht? Und würde die richtige Frage es retten können vor dem, was es jenseits seiner eigenen Welt vergessen würde?
Vor einer Holztür mit abblätternder blauer Farbe blieben sie stehen. Lheki zuckte mit den Schnurrhaaren, offensichtlich sprach er in Gedanken mit jemandem. Dann öffnete er die Tür.
Dunkelgrünes Licht strich beinahe zärtlich über das Fell des Katers, als er über die Schwelle ging. Samten und kalt wie das Wasser des Nordmeeres glitt es über Grims Gesicht, und er hielt instinktiv den Atem an, als er hinter Samhur den Raum betrat. Es war tatsächlich, als würde er über den Grund eines Meeres gehen. Das Zimmer lag im Halbdunkel. Lange, wohl ehemals weiße Vorhänge bedeckten fast vollständig die breite Fensterfront, durch die das diffuse Licht einer Silberpappel hereinfiel wie ein Schimmer aus einer anderen Welt und bei den verschlissenen Sesseln erlosch, die knochenbleich in der Mitte des Raumes standen. Grim fühlte die glimmende Wärme des längst erloschenen Kaminfeuers. Staubpartikel wirbelten durch die Luft wie zerbrochene Erinnerungen. Alles erschien ihm wie in einem Traum, in dem er sich nicht abwenden konnte von einer Gestalt aus Dunkelheit und vergessenen Tränen. Es war Skarnaara, die er ansah – die Zarin der Nacht.
Sie saß in der Ecke des Raumes auf einem Ohrensessel, die zarten Hände reglos auf den zerrissenen Lehnen abgelegt. Ihr pechschwarzes Haar fiel bis zum Boden hinab, ihre Haut war so bleich, dass sie in der Dämmerung des Zimmers schimmerte, und ihre Augen, die Schatten an ihren Rändern gefangen hielten, blickten in tiefschwarzem Glanz auf die zerfressenen Holzscheite im Kamin. Grim
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