Grim
vor der rauen Ursprünglichkeit der dämonischen Bauten. Sie schienen aus der Erde selbst hervorgebrochen zu sein, in einer einzigen mächtigen Kraftanstrengung, die mehr zügelloser Spieltrieb als bewusste Kunst gewesen war, und keines der vampirischen Gebäude konnte die Macht überdecken, die sich wie ein Geschwür in Form eines verkrusteten Adergeflechts durch die gesamte Stadt zog. Grim betrachtete eine Ansammlung kleinerer Herrenhäuser, die sich am Fuß einer wie aus schwarzer Lava gegossenen Burgruine erhoben. Es schien ihm, als hätte ein Kind Bauklötze auf dem Anwesen eines Schlossherren verteilt, und kaum hatte er das gedacht, fühlte er erstmals den Schatten, der drohend über die Dächer glitt. Er folgte dem kühlen Hauch, der über seine Wangen strich, und wandte den Blick. Und dort, hoch über den Dächern der Stadt, erhob sich Kharamon, die Feste des Zorns. Sie thronte als gewaltiger Turm auf einer Klippe über dem Häusermeer wie der Sitz des Lehnsherrn über dem Dorf seiner Leibeigenen. Nur schemenhaft brach das Mauerwerk des gewaltigen Turms aus den schwarzen Flüchen, die es umtosten. Es war, als würde er sich hinter wehenden Tüchern verbergen, und doch spürte Grim die schwelende Drohung, die aus den schwarzen Fenstern loderte, und er sah die Zinnen, die die Spitze des Turms in eine gekrümmte Drachenklaue verwandelten. Dorthinauf zogen sich die Wurzeln und Adern von Rha’manthur, und sie wurden zu Füßen der Klippe zu gewaltigen Strängen aus Finsternis. Die Tunnel der Schatten , ging es Grim durch den Kopf, und er nahm die Gefahr wahr, die in diesem Namen widerklang. Langsam sog er die Luft ein. Mochten die Vampire sich bemüht haben, Rha’manthur zu ihrer Stadt zu machen – ganz gelungen war es ihnen nicht.
Mit leisem Rauschen erreichte der Zug den Bahnhof, ein mit gläserner Kuppel überdachtes Gebäude, das unter dem plötzlichen Pfeifton der Lokomotive ebenso erzitterte wie Remis auf Grims Schulter. Offensichtlich konnte auch der Zug es kaum erwarten, seine ungebetenen Gäste loszuwerden. Grim wartete, bis die Vampire sich aus dem Staub gemacht hatten, und verließ mit den anderen das Abteil. Stöhnend sprang er auf den Bahnsteig, streckte die Schwingen, in denen er kein Gefühl mehr hatte, und kam sich vor, als wäre er gerade aus einer Konservendose gekrochen. Der Zug war ihm kaum größer erschienen als die steinernen Flugkapseln Ghrogonias, und er war mit jedem Blick der Vampire noch geschrumpft. Remis schüttelte sich wie ein nasser Hund, und selbst Samhur bewegte die Schultern, als hätte er zu lange in der Kälte verbracht.
Wortlos setzte der Jäger sich in Bewegung, und Grim beeilte sich, ihm zu folgen. Remis musterte die wenigen Stände der Schattengnome, die in der mit bröckelndem Stuck verzierten Haupthalle des Bahnhofs verschiedene Waren feilboten – kunstvoll gefertigte Kleidung, alchemistische Zutaten und allerhand Fläschchen und Karaffen mit Blut von beinahe jeder Art von Kreatur – und erschrak sichtlich, als sie den Bahnhof verließen und die Stille der Stadt betraten.
Die Straßen rings um den Bahnhof herum waren wie ausgestorben. Nur vereinzelt kamen ihnen Vampire entgegen, und Grim hatte den Eindruck, in eine Stadt auf dem Meeresgrund geraten zu sein, in der jedes Zeichen von Leben Staunen hervorrufen musste. Er verzog das Gesicht. In der Tat konnte man die Blutsauger dieser Stadt nun nicht gerade als lebendig bezeichnen. Ihre Haut war noch bleicher als die ihrer Verwandten in der Oberwelt, ihre Augen tiefschwarz und glanzlos, und wiederholt konnte er sich eines Fröstelns nicht erwehren, wenn einer der Untoten an ihm vorüberging, lautlos und so schnell, dass er nur einen Windhauch wahrnahm, der seine Wange streifte. Sie trugen Gewänder aus lang vergangener Zeit, diese Blutsauger Rha’manthurs, und nur mitunter erkannte Grim etwas wie Neugier in ihren Blicken, immer dann, wenn er sie ein wenig zu spät wahrnahm, wie sie in einem der finsteren Hinterhöfe standen, erstarrt wie festgewachsen, oder zusammengekauert auf den Dächern hockten, die Blicke mit erstickender Gier auf ihn gerichtet. Hin und wieder huschten Dämonen an ihnen vorüber, einst Sklaven der Vampire, die lange schon die Freiheit hatten, die Stadt der Flammen zu verlassen, und die dennoch in ihren Mauern blieben. Grim holte Atem – und bereute es sofort. Hektisch begann er zu husten, Remis schlug ihm sinnloserweise auf den Rücken. Der Rauch, der ihm tückisch in die Lunge gefahren war,
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