Grim
von Euren Augen, deren Glanz jedes atmende Wesen in Asche verwandeln kann. Ich hörte auch von Eurer Stimme, grausam und kalt und zugleich sanft und betörend, und ich malte mir aus, wie die Vampirin sein würde, die durch die Dschungel Ifrithons ritt und die Schlangen Bagdads um ihre Knöchel trug, nachdem sie sie erschlagen hatte. Ich glaubte, einer Kriegerin der Dunkelheit entgegenzutreten, einer Vampirin, die das flammende Zeichen der Iryos trug, doch … « Er hielt inne und ertrug die Kälte, die ihm wie schneidender Wind über die Wangen fuhr, als er sie ansah. »Offensichtlich habe ich mich geirrt. Es gibt keine Kraft und Würde mehr in dieser Totenstadt, nichts, das die Indolenz, die so typisch ist für Euer Volk, Lügen straft. Einst wart Ihr stark, Zarin, doch seht Euch an. Ihr habt Euch zu Ewiger Ruhe gebettet, Ihr, die nicht sterben kann.«
Die Zarin erhob sich so schnell, dass Grim nicht zurückweichen konnte, und obwohl sie keinen Schritt auf ihn zutrat, als sie die Hand vorschnellen ließ, wurde er von einer unsichtbaren Klaue an der Kehle gepackt. Samhur schlug etwas vor die Brust, dass er auf die Knie fiel, und Remis verschwand von einem heftigen Windstoß getroffen aus Grims Blickfeld. Er sah nur Skarnaara und das Feuer, das in schrecklicher Helligkeit aus dem Kamin loderte und die Schatten des Zimmers tanzen ließ. Die Vorhänge flatterten laut, Eisblumen rasten über die Fenster und den Boden dahin, und die Zarin stand regungslos in ihrem Kältesturm. Nur ihr Haar peitschte durch die Luft und hinterließ brennende Schnitte in Grims Wange.
Nichts weißt du von meiner Ewigkeit , fuhr ihre Stimme durch seine Gedanken, und als sie ihn in ihre Finsternis riss, da spürte er die Glut der Wüsten des Ostens auf seiner Haut, schmeckte das Gift der Schlangen Bagdads auf seinen Lippen, sah den Nachthimmel über unzähligen Schlachtfeldern, er raste durch Berge aus Menschenleibern, und als er über den Himmel jagte, getrieben von etwas, das ihm die Haut in Fetzen vom Körper riss, da fühlte er nicht mehr die Kälte in seinem Inneren, nicht die Einsamkeit, die mit heiserem Brüllen in ihm wütete. Er spürte nur das Nichts, das als tanzende Asche in seine Augen fiel angesichts der Welt, angesichts des Lebens und der Schönheit, die ihm nichts mehr bedeuteten. Er hatte sie verloren, sie waren etwas anderes, etwas Fremdes geworden in all der Zeit, die er dem Tod entronnen war. Und er hörte das Eis nicht mehr, das über den Boden des Zimmers unter dem Meer auf ihn zukroch. Es hatte ihn längst eingehüllt und ließ ihn erstarren, und als er sich vor der Zarin wiederfand, fiel er auf die Knie, unfähig, irgendetwas zu denken oder zu fühlen.
Wie in Zeitlupe wandte Skarnaara sich ab und ließ sich auf den Sessel zurückfallen. Das Feuer im Kamin war erloschen, fast schien es, als hätte es niemals gebrannt. Der Staub auf den Scheiten lag genauso da wie zuvor.
Grim spürte wie in Trance, dass Samhur ihn auf die Beine zog, er sah sich selbst, wie er rücklings auf die Tür zutrat, und doch wandte er sich nicht von der Zarin ab. Etwas an ihrer Haltung ließ ihn innehalten, etwas, das er in ihrer Finsternis wahrgenommen hatte, und als sie die Tür fast erreicht hatten und er für einen winzigen Moment ihren Blick auf sich spürte, streifte er Samhurs Hand ab und holte Atem. Kalt strömte die Luft in seine Lunge, kalt wie die Luft über dem Meer.
»Ihr habt recht«, sagte er, und es schien ihm, als würde er sie zum ersten Mal wirklich sehen können – verschwommen und doch wunderschön hinter einer verrutschten Maske aus Eis. »Aber ich kenne die Lieder, die man über Euch singt, und ich erinnere mich an eine Zeile daraus: Sie ist mehr als Asche und Rauch. Und seid Ihr das nicht?«
Er schaute sie an, doch für einen Moment war nicht sie es, die er vor sich sah, sondern Mia, ihr Haar im Wind, ihr Lächeln, er sah sie auf seinem Turm in Paris stehen, sah sie während einer Kampfstunde in den Räumen Theryons, und er sah sie gerade in diesem Moment, in dem sie ihren Weg ging an der Seite eines Vampirs. Waren es seine eigenen Worte gewesen, die diese Bilder in ihm heraufbeschworen? War es die Luft, die ihn so grausam und zugleich zärtlich umspielte? Oder waren es die tiefschwarzen Augen der Zarin – Rätsel und Abgrund in
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