Grim
tauchten die Umrisse einer Mühle auf, Mia erkannte die bunte Statue eines Wassermanns auf dem Holzgerüst – ein dämonischer Gruß aus dem anderen Prag. Prompt zog Edwin die Arme um den Körper, doch Mia achtete nicht auf ihn. Eine halb zerfallene Tür führte hinter dem Rad ins Innere des Gebäudes, und sie bemerkte deutlich die Gestalten, die sich schemenhaft aus der Fassade schoben, nur um gleich darauf wieder mit ihr zu verschmelzen, als wären sie nur eine Illusion gewesen. Pferdeleiber drängten sich aus dem Stein, die Glieder eines Satyrs, Vampirgesichter und die ins Leere greifenden Hände von Menschen und Dämonen. Ein Flüstern ging durch die Schatten, als Lyskian das Boot mit leisem Zauberwort an der Mühle anlegen ließ, und kaum, dass sie den Steg betraten, spürte Mia ein Zittern durch die Luft gehen, das sich in den wackligen Bohlen fortsetzte, ein Beben wie von einem verborgenen Lachen.
Lyskian klopfte in melodischem Rhythmus an die Tür. Kurz wurde das Raunen lauter. Mia fuhr zusammen, als ein glotzäugiger Schweinekopf sich aus der Mauer schob und sie aus wächsernen Augen anstierte. Kurz darauf näherten sich Schritte. Eine zornige Stimme drang zu ihnen heraus, die Mia an den heiseren Schrei einer Möwe erinnerte. Es folgte ein Befehl in einer fremden Sprache – und sofort glitten alle Gestalten in die Fassade zurück. Kurz ging ein Grollen durch das Haus, als würde ein Rollstein vor einen Kerker geschoben. Dann öffnete sich die Tür.
Blauer Fackelschein warf sich Mia entgegen und blendete sie, so dass sie nur die Umrisse des Mannes sehen konnte, der vor ihnen stand. Er war so groß, dass er den Kopf neigen musste, um sich nicht am Türrahmen zu stoßen, und sein dünner Leib steckte in einer mottenzerfressenen, bodenlangen Kutte. Erst, als er sich vorbeugte, konnte Mia ihm ins Gesicht sehen. Sie standen einem Gargoyle gegenüber. Seine eingefallenen Wangen, die hohe Stirn und die Nase, die wie der Schnabel eines Geiers aus seinem Gesicht ragte, bestanden aus grauem Stein. Er war alt, doch seine Augen kannten keine Zeit. Sie trugen zu gleichen Teilen eine verschlagene Verbitterung und eine übermütige Freude in sich, die den Eindruck vermittelte, als könnte er jeden Moment die Arme in die Luft werfen und aus voller Kehle lachen wie ein Kind. Diese Augen waren nicht rot wie die der anderen Gargoyles von Prag, sondern grün wie der Fluss, und sie flammten auf, als sie Lyskian fixierten.
»Prinz«, sagte der Fremde mit derselben rauen Stimme, die die schattenhaften Kreaturen in die Mauern zurückgetrieben hatte. »Ich sah euch lange nicht auf dieser Seite der Stadt. Wie steht es mit der Ewigkeit in Euren Gliedern, ist sie Euch schon zum Verhängnis geworden?«
Lyskian erwiderte sein Lächeln, doch es stand keine Freude in seinem Blick. »Die Ewigkeit kennt kein Verhängnis«, erwiderte er ruhig. »Sie kennt nur sich selbst, und das ist ihre Tragik. Ihr solltet das wissen, Balthasar.«
Der Gargoyle lachte auf, warm und grollend – der Ton von schweren Steinen, die ins Meer gleiten. »Ihr kennt Euch aus mit Tragik, das habe ich nicht vergessen. Und wenn ich mir die Gesichter Eurer Begleiter so anschaue, seid Ihr damit nicht allein. Hat Euch der Fluss einen solchen Schrecken eingejagt? Oder waren es meine … nun … Mitbewohner ?« Er wartete eine Antwort nicht ab. »Herein mit euch«, sagte er und bewegte die Fackel zur Verdeutlichung seiner Worte so schnell, dass sie Funken schlug. Zischend landeten sie auf dem Holz der Mühle und ein lautes Stöhnen ertönte. Es klang wie das Seufzen einer uralten Kreatur, die in den Schatten lag – einsam, gefesselt und begierig, sich zu befreien. Unwillig steckte Balthasar den Kopf aus der Tür und blinzelte in die Nacht. »Halt den Mund, alter Zausel«, murmelte er in den Wind, der nach seinem Gesicht griff. »Du hast den Fluss und den Nebel, das ist mehr, als du verdienst. Also bleibe auf deiner Seite der Grenze oder dich werden andere Feuer treffen als die meinen!« Das Grollen verklang, und Balthasar nickte befriedigt. Mia trat hinter den anderen in den schmalen Flur seines Hauses. Er war mit Holz vertäfelt, aber es schien, als wäre nicht nur einmal das Wasser bis hinauf zur Decke gestiegen, denn ein modriger Geruch strömte aus den Fugen, und vereinzelt hatten sich Muscheln in den Astlöchern verfangen.
»Immer mir nach«, forderte Balthasar sie auf, und während er ihnen voran durch den Flur ging, glitten geisterhafte Wesen aus dem Boden,
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