Grim
Beine. Sie hörte seine Stimme, als er einen Zauber murmelte, sah die Schatulle in seinen Händen, von der sich mehrere Riegel zurückzogen – und dann öffnete sich der Deckel und ohrenbetäubender Gesang brach aus ihr hervor. Die schwarzen Gestalten traten zurück, kreischend bäumte der Geist sich auf und stürzte sich gleich darauf mit wahnsinnigem Blick in die Kiste. Schnell schlug Meister Karanov den Deckel zu und sprach einen dreifachen Bannzauber über ihr.
DieanschließendeStillewurdenurvomKnisternderSchattendurchbrochen,diesichindieEcken des Raumes zurückzogen, sch emenhaftwieheimlicheGedanken,undmitihnenverschwandaucher,derjungeMannmitdendunklenAugen,alswäreerniemalsdagewesen.
Schwer atmend fiel Mia neben Lyskian auf die Knie. Sie legte ihre Hände an seine Schläfen. Sie waren so kalt, dass ihre Fingerspitzen taub wurden, doch ihr Zauber floss warm durch seine Glieder und vertrieb den Frost, der ihn bis ins Mark erfüllt hatte. Etwas wie Erstaunen ging durch seinen Blick, als er die Augen aufschlug und sie erkannte. Sie hörte Meister Karanov wie aus weiter Ferne, der fluchte und seinen Homunculus mit einem Fingerschnipsen wieder zum Leben erweckte. Dann betrachtete er seine Besucher prüfend, als wollte er sich vergewissern, dass alle noch lebten, und beugte sich über die verbogene Maschine. Leise flackernd erstand der Glutwirbel von Neuem.
Mia sah zu den Hartiden hinüber. Edwin war aus seiner Ohnmacht erwacht, seine Finger zitterten, als sie nach der sich heilenden Wunde tasteten. Radvina saß dicht neben ihm, doch das Entsetzen hatte sich tief in ihr Gesicht gegraben und ließ dunkle Schatten um ihre Augen tanzen. Nur Jaro zeigte keine Regung. Schweigend schaute er Mia an, als würde er ahnen, was sie zu sagen hatte, und nur darauf warten, ihr zu widersprechen. Langsam schüttelte sie den Kopf, als wäre das eine Antwort auf die fragenden Blicke, mit denen die Hartide sie betrachteten. Noch immer pochte der Schwindel hinter ihrer Stirn, kurz glaubte sie, die Stimmen der Menschen zu hören, die sie während ihrer ersten Ausstellung umdrängt hatten, und die Blicke auf ihrer Haut zu spüren, die wie aus weiter Ferne zu ihr drangen und auf halbem Weg erloschen. Sie holte tief Atem. Irgendetwas in ihr hatte diesen Augenblick vorausgeahnt, und obgleich sie wusste, dass ihre Entscheidung unabwendbar war, fühlte sie die gläserne Wand zwischen ihnen plötzlich so deutlich, dass sie glaubte, unter ihrer Last ersticken zu müssen.
»Unser gemeinsamer Weg endet hier«, sagte sie. »Alles, was nun geschehen wird, ist zu gefährlich, als dass ihr ihm standhalten könntet. Geht zurück zum Friedhof, sobald wir das Geheime Prag verlassen haben. Versteckt euch, bis alles vorüber ist, und haltet euch fern von den Gefahren der Anderwelt.« Dann schaute sie zu Jaro hinüber, der mit verschränkten Armen in einer Ecke saß. »Du wirst sie begleiten. Deine Kraft ist groß, auch wenn du sie noch nicht völlig begreifst, aber du wirst sie beschützen können oder … «
»Oder ich kann es auch lassen«, erwiderte Jaro kalt. »Ich bin stark genug, um weiter mit euch zu gehen, und genau das werde ich tun. Ich bin kein Jammerlappen wie die beiden hier, ich werde … «
Die Kälte drang so plötzlich aus Lyskians Körper, dass Mia zusammenfuhr. Er hatte sich nicht gerührt. Nur sein Blick hatte Jaro umfasst und das genügte, um dem Hartiden die Luft aus der Lunge zu pressen. »Du kannst mit uns gehen«, sagte er so leise, dass Mia fröstelte. »Du kannst uns begleiten, durch Feuer und Sturm und Tod, ohne ihnen gewachsen zu sein. Doch ich werde dich nicht beschützen. Im Gegenteil: Es wird mir eine Freude sein, dich brennen zu sehen. Entscheide selbst!«
Der Zorn in Jaros Gesicht war unverkennbar, fast meinte Mia, seine Knochen knacken zu hören, als er sich schließlich zu einem Nicken zwang. Wortlos wandte sie sich ab. Sie spürte die Tinte an ihren Fingern, als sie Lyskian in die Augen sah, diese dunklen, unruhigen Augen, und sie dachte an den jungen Mann, an die Einsamkeit in seiner Stimme und das Geräusch von flüsternden Fetzen aus Papier, das seine Worte umspielte – hier, auf ihrer Seite der Mauer.
Kapitel 35
Die Finsternis brannte kalt auf Grims Haut. Züngelnd strichsie über seinen Körper, als würde sie ihn mit unsichtbaren Fingern erkunden, und verhüllte nur halbherzig den Abgrund unter der Brücke, über die sie gingen. Angespannt schob er Remis auf seiner Schulter ein wenig zur Seite. Er hörte
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