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Grim

Grim

Titel: Grim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Schwartz
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Hand nach der Apparatur auszustrecken, und Jaro ging dicht heran und betrachtete sie mit unverhohlener Neugier. Meister Karanov zog unterdessen ein Buch aus einem Regal, dessen Buchstaben sich mit dem Aufschlagen entflammten. Raschelnd blätterten die Seiten sich selbst um, bis sie bei einer detaillierten Formelsammlung stehen blieben. Mia verdrehte die Augen. Allzu oft hatte sie solche Dinge während ihrer Übungsstunden bei Theryon gesehen und selbst bei einfachsten Versuchen versagt.
    Meister Karanov schaute auf, als hätte er ihre Gedanken gehört, und grinste schelmisch. »Alchemie ist ein Handwerk, junge Dame«, sagte er und schleppte das Buch zum Schreibtisch hinüber. »Ein wenig Talent reicht aus, um es zu erlernen. Tretet näher.«
    Sie versammelten sich um den Tisch, als der Alchemist nach der Seele Prags griff. Mit leisem Klingen fiel der Staub in eine der Kupferschalen, die nach kurzem Befehl des Meisters dicht über einem hauchzarten Kerzendocht stehen blieb. Mia fühlte keine Hitze, doch sie sah die Glut, die von dem Docht ausging, und beobachtete gespannt, wie Meister Karanov den Samen ihres Traums in den Schlund eines gewundenen Rohres gab. Erst schwach, dann immer deutlicher bildete sich ein pulsierender Wirbel aus heller Glut zwischen zwei dünnen Drähten. Kühl war die Magie, die er verströmte, und Mia spürte jeden Impuls als schwaches Zittern auf ihrer Haut. Dies war der Zauber, der das Fluchfeuer von Prags Straßen reißen würde, das stand außer Zweifel, und sie hielt den Atem an, als sich der Schein verfärbte und langsam dunkler wurde. Mit rauer Stimme sprach Meister Karanov eine Formel – und wurde jäh von einer kreischenden Stimme unterbrochen. Feinste Goldpartikel stoben aus dem Rohr und flogen durch die Luft.
    Instinktiv hielt Mia sich die Ohren zu. Sie hatte von den Sirenen gehört, den mächtigen Zauberinnen des Meervolkes, die ihre meist menschlichen Opfer mit schrecklichen Gesängen in die Tiefe zogen, kannte auch die Berichte der Grauen Riesen der Karpaten, deren dröhnender Atem durch Fleisch und Knochen schnitt, und eines wusste sie: Diese Klänge konnten kaum grausamer sein als dieses Geräusch. Ein stechender Schmerz presste ihr die Luft aus der Lunge, während Edwin kreidebleich die Arme um den Körper zog und Radvina sich schwankend an ihm festhielt. Mia fröstelte, als sie den Schatten auf Jaros Gesicht bemerkte, der seine Züge fratzenhaft verzerrte und sie an die Gier ausgehungerter Tiere denken ließ. Erst, als Lyskian einen Schutzzauber über sie legte, konnte sie wieder Atem holen, doch noch immer kreischten die Gesänge, und der glühende Wirbel verlor seine Farbe und flackerte in versagendem Licht.
    »Verfluchte Kreatur!«, rief Meister Karanov und schleuderte einen Kupferkessel nach dem Homunculus, dass die flammende Schale funkensprühend zu Boden krachte. Das Menschlein sprang hektisch über die Regale und verbarg sich hinter dem Skelett einer Königspython, ohne den Alchemisten aus den Augen zu lassen. Schnell krempelte Meister Karanov die Ärmel hoch und rief einen Zauber. In verschlungenen Linien malte er glühende Zeichen in die Luft über der Apparatur, Mia sah die Magie, die den Gesang dämpfte und gleichzeitig mit elender Langsamkeit die Goldpartikel zu sich rief, und sie stieß erleichtert die Luft aus, als der Gesang leiser wurde. Zornig warf Meister Karanov einen Blick zum Homunculus hinüber, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. »Wie oft habe ich dir gesagt, dass du nicht herumexperimentieren sollst, wenn ich nicht dabei bin, und schon gar nicht mit Goldstaub! Du weißt, wie tückisch er ist, er dringt in die feinsten Winkel und kann binnen kürzester Zeit das ganze Zauberwerk zunichtemachen! Niemals arbeiten wir mit verschmutztem Material, wann wirst du es dir endlich merken? Verdammt solltest du sein, wenn du es nicht schon wärest! Du … «
    Weiter kam er nicht, denn da ging ein Dröhnen durch den Boden, so tief und grollend, dass die Farbe aus seinem ohnehin schon bleichen Gesicht wich. Es klang, als hätte sich irgendwo eine Tür geöffnet oder ein Sarg, und Mia hörte Schritte auf sich zukommen, donnernde Schritte von der Gasse her. Lyskian rief etwas, Mia verstand die Sprache nicht, doch sie hörte an seiner Stimme, dass Gefahr drohte – eine Gefahr, der keiner von ihnen gewachsen sein würde. Meister Karanov ballte die Faust für einen Zauber, aber da flog die Tür auf und eiskalter Sturmwind brach ins Zimmer. Er hieb Mia wie eine Faust in

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