Grim
den Magen, keuchend fiel sie auf die Knie, während der Sturm die Bücher zu Boden warf und durch die Regale raste. Er zerrte an Mias Haar, die Kälte durchdrang sie mit ungeheurer Kraft – und als sie zur Tür hinübersah, wich ihr das Blut aus dem Kopf.
Dort auf der Schwelle stand ein Geist. Doch es war keiner von der Sorte, wie Mia sie aus Ghrogonia kannte oder von den Friedhöfen von Paris, kein Schemen mit wehenden Gewändern und entrücktem Lächeln. Dieser Geist war ein Verdammter – ein Mensch, der nicht begriffen hatte, dass er tot war. Zu seinen Lebzeiten musste er ein großer Mann mit dichtem Backenbart gewesen sein, doch der Tod hatte seinen Körper zerfressen, seine Haut hing in Fetzen von den Armen und gab den Blick frei auf verfaultes Muskelgewebe und Sehnen. Die einst kostbaren Kleider bedeckten seinen Leib wie Lumpen, und die schwarze Kutte, die ihn als Alchemisten auswies, war kaum mehr als ein Schatten. Wie alle Verdammten stank er nach Blut und Verwesung, sein Keuchen erfüllte den Raum, und die Luft erstarrte vor Kälte, als er einen Schritt nach vorn trat. Obwohl sein Leib durchscheinend war, donnerte sein Fuß auf den Dielen, und als er Mia aus weißglühenden Augen anstarrte, schien es ihr, als würde er seine scharfen Klauen über ihre Wangen führen. Doch schon riss er sich von ihr los. Er tastete mit seinem Blick den Raum ab, und als er gefunden hatte, was er suchte, ging ein Ruck durch seinen Körper. Er starrte auf den Zauber, der sich auf dem Tisch des Meisters gerade in dunklem Rot verfärbte.
»Weiche!«, brüllte Meister Karanov und streckte die Faust aus, doch bevor sein Zauber sich entladen konnte, riss der Fremde den Arm in die Luft und schlug den Alchemisten mit unsichtbarem Hieb gegen zwei seiner Regale, dass er zusammensackte. Gleichzeitig fiel der Homunculus reglos zu Boden. So schnell, dass Mia die Bewegung mehr fühlte als sah, stürzte der Fremde sich auf den Zauber und fasste gierig nach dem flirrenden Gold. Der Glutwirbel flackerte heftig, knirschend verbogen sich die Drähte und strebten zu den Händen des Geistes, als würde er sie magisch anziehen. Aber er konnte das Gold nicht packen, und je länger er ins Leere griff, desto zorniger wurde er. Außer sich stieß er gegen die Rädchen, Streben und Rohre, und Mia stockte der Atem, als sie den Rauch bemerkte, der aus den brechenden Leitungen stieg. Kurz glomm der Glutwirbel auf, dann fiel er zu drei Funken zusammen. Mia kam auf die Beine. Sie musste den Geist aufhalten, sie durfte nicht zulassen, dass er den Zauber zerstörte – doch noch ehe sie auch nur ein Wort über die Lippen gebracht hatte, durchdrang Lyskians Stimme die Luft.
»Mhar’khor
Weitere Kostenlose Bücher