Grim

kann mit Sicherheit sagen, welche Legende der Wahrheit entspricht, doch unser Volk machte seit dem Anbeginn der Zeit Jagd auf die Khranados. Wir fürchteten und hassten sie für das, was sie waren, und trotzdem gelang es uns kaum jemals, einen von ihnen zu vernichten. Unsterblich wie wir, sind sie dennoch vor uns da gewesen, lange vor den Tagen des Blutes und des Frosts.«
    Lyskian nickte kaum merklich. »Sie können unser ewiges Leben mit einem einzigen Prankenhieb zerschmettern. Nichts Menschliches ist mehr übrig in einem Wolf wie diesem, er ist ganz Tier geworden und vollends seinen Trieben unterworfen. Aus ihnen gewinnt er eine Stärke, die wir niemals besitzen werden. Er ist ein Monstrum aus Hass und Begierde, und er wird alles tun, um beides zu befriedigen.«
    Remis hatte schon den Mund geöffnet, doch es war Grim, der seine Frage stellte: »Wen hassen die Khranados?«
    Samhur lächelte ein wenig. »Vampire«, erwiderte er dunkel. »Denn wir waren es, die sie jagten. Menschen. Denn sie waren es, die sie verachteten. Und jedes andere Geschöpf dieser Welt oder einer anderen, denn keines kann die Gier eines Khranados jemals stillen. Wir … «
    Ein plötzlicher Schrei ließ ihn innehalten. Zunächst hörte er sich an wie das laute Krächzen eines Raben, doch gle ich darauf erklang e r erneut, ein heiserer, keckernder Ruf, der aus der Dunkelheit ein Echo als Antwort erhielt. Mia fühlte die Erschütterung, als würden schwere Leiber über den Bo den rasen, und als das erste gelbe Auge npaar zwischen den Baumriesen aufblitzte, schrak sie zusammen. Umgehend erlosch es wieder, aber sie hatte das Gold gesehen, das rings um die Iris aufflackerte, und kurz meinte sie, die Flammen des Ughrurs auf der Haut zu spüren, des Urfeuers, das den Legenden der Gargoyles nach noch immer im Kern der Er de glühen und die Dr achen verbergen sollte, die die Welt in Wahrheit niemals verlassen hatt en.
    Da brach etwas durchs Unterholz, es kam von allen Seiten zugleich auf sie zu. Samhur rief etwas, doch Mia hörte ihn kaum unter dem Krachen brechender Äste. Eilig ging sie in Kampfposition, sie fühlte Grims Brüllen mehr, als dass sie es hörte, und dann, mit einem gewaltigen Donnern, jagten sieben Schatten aus dem Dickicht. Sie sahen aus wie Raptoren mit grüner, schuppigglänzender Haut, Reptilienwesen aus der Ersten Zeit, die Mia nur aus Büchern und Erzählungen kannte. Lyskian traf den ersten mit einem Pfeilzauber, dass es dem Untier die Brust zerriss. Blut spritzte Mia ins Gesicht, es verbrannte ihr die Haut, doch sie achtete kaum darauf. Samhurs Peitsche schlug zwei der Angreifer ins Unterholz zurück, und während Grim drei weiteren die Haut verbrannte in seinem Flammensturm, stieß Mia die Faust vor. Ihre Stimme überschlug sich, als sie ihren Zauber brüllte. Sie sah noch, wie er das Maul aufriss, wie er mit dem Schwanz ausholte, um sie zu erschlagen, doch im nächsten Moment traf ihn ihr Zauber und vereiste seinen Körper noch in der Luft. Donnernd landete er am Boden, sein Leib zerbrach, als wäre er aus gebranntem Ton gewesen.
    Schwer atmend stützte Mia sich auf die Knie. Sie schaute zu Samhur auf, der den Blick wie erstarrt auf einen der umstehenden Bäume gerichtet hatte. Ein goldener Rabe saß dort auf einem Ast, regungslos wie der Jäger und mit Augen, die wie zwei Spiegel waren. Mia konnte es sich nicht erklären, aber der Blick dieses Vogels ließ sie taumeln, als hätte er ihr einen Stich versetzt. Sie hörte Grim Atem holen, bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Remis die Hand vor den Mund schlug, nahm die Kälte wahr, die zusehends stärker von Lyskian ausströmte. Doch erst, als sie Samhur schwanken sah, wusste sie, was dieser Rabe bedeutete. Er durchdrang die Finsternis, er war ein Seher, ein Sucher auf der Jagd. Er war das Auge des Khranados.
    Der Vogel schrie, und nach einer schrecklichen Stille antwortete ihm ein Brüllen tief aus dem Inneren der Erde – dasselbe Brüllen, das Mia in der Hütte den Atem hatte stocken lassen. Samhur fuhr herum, im Bruchteil einer Sekunde hatte er jeden mit seinem Blick erfasst.
    Die schwarzen Tore , donnerte seine Stimme durch Mias Gedanken. Wir müssen den Inneren Kreis erreichen, ihn kann er nicht