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Grim

Grim

Titel: Grim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Schwartz
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strich die Wärme seines Mantels über ihre Haut, die Anspannung in ihrem Nacken löste sich, und als sie Atem holte, war die Luft samten und linderte das Pochen in ihren Schläfen. Unwillig zog sie die Brauen zusammen. Lyskian hätte nicht zugelassen, dass sie den Mantel abstreifte, doch dies war der einzige Grund für sie, es nicht zu tun.
    »Ich hätte ihn beinahe getötet«, sagte sie. »Da schadet es nicht, eine Weile in der Kälte zu sitzen.«
    Lyskian musterte sie spöttisch. »Du bist kein Kind, das Strafe verdient hätte«, erwiderte er ruhig.
    »Ich sehe es immer wieder vor mir«, sagte sie nach einer Weile. »Wie ich über ihm stehe und mein Schwert hebe. Ich habe seinen Herzschlag an der Klinge gefühlt, und doch … Ich weiß, dass ich es wieder tun würde.« Sie schauderte bei diesen Worten, aber sie wusste, dass es die Wahrheit war.
    Lyskian nickte kaum merklich. »Ich habe dich beobachtet auf dem Friedhof. Ich habe deine Augen gesehen, und sie waren kalt wie die meinen in meinen finstersten Stunden.« Sie sah ihn von der Seite an, doch er schaute über die Dächer der Stadt, und als der Mond durch die Wolken brach, wirkte sein Gesicht bleich wie frisch gefallener Schnee. Die Schatten in seinem Blick jedoch vertieften sich, als er ein Lächeln über seine Lippen schickte. »Ich habe deinen Zorn gespürt«, fuhr er fort. »Und ich fühle ihn noch. Du bist an eine Grenze gelangt, die dich erschreckt, ich kann deine Gründe verstehen, jeden einzelnen, und ich verurteile dich für nichts. Ich würde es auch nicht tun, wenn du Jaro das Schwert in die Brust gestoßen hättest. Der Tod, Mia, ist weit weniger grausam als du denkst. Und doch konnte ich den Blick in dein Gesicht kaum ertragen. Eine Winzigkeit hat gefehlt, und dann hättest du dir selbst zugefügt, was ich dir beinahe angetan hätte, ist dir das klar?« Er sah sie mit stiller Gewissheit an. »Du hast ihn nicht nur angegriffen wegen Carven oder wegen Grim. Dir ist das bewusst, oder irre ich mich?«
    Mia fühlte seine Schatten nach ihr greifen. Wie war es möglich, dass er ihr in die Seele schauen konnte und sie keine Veranlassung zur Gegenwehr sah?
    »Du bist deiner Sehnsucht gefolgt«, sagte er, »deiner verzweifelten Suche nach Gemeinschaft, die es für dich niemals geben wird. Nicht nur der Zauber des Vergessens verhindert, dass die Menschen Dinge sehen, und wenn du ihnen die Augen öffnest für die Wunder dieser Welt, dann erwarte nicht, dass sie dir dafür danken, erwarte noch nicht einmal, dass sie merken, was mit ihnen geschehen ist. Die meisten von ihnen werden blind bleiben. Denn das Besondere wird nur von dem Besonderen in seinem Wesen erkannt. Es gibt nicht viele Menschen wie dich, Mia, auch unter den Hartiden nicht.«
    Mia wandte sich ab. Sie wollte nichts hören von dem angeblich so Besonderen in ihr, das sie gerade dazu gebracht hatte, beinahe einen Menschen zu töten. Doch Lyskian ließ sie nicht so einfach davonkommen. Langsam holte er Atem, als würde er sich gerade in diesem Moment an diese menschliche Regung erinnern wollen.
    »Du bereust, was du getan hast«, sagte er. »Und doch glaubst du, dass es keinen anderen Weg für dich gibt. Diese Gedanken sind mir nicht fremd. Auch ich dachte für eine sehr lange Zeit, dass es nur noch einen Weg gibt, wenn man auf den Grund seines eigenen Ichs geschleudert wird.« Er hielt kurz inne, und als er weitersprach, war seine Stimme rau und leise wie das Meer in einer windstillen Nacht. »Ich habe dir nur wenig aus meiner Vergangenheit erzählt. Ich hatte meine Gründe dafür, doch nun ist die Zeit gekommen, da du einige Dinge erfahren solltest. Es gab ein Leben vor der Ewigkeit, ein Leben, in dem ich verlorener Sohn war, Geliebter, Freund, ein Leben, in dem ich glücklich sein konnte und die Wärme der Sonne auf meiner Haut fühlte ohne Wehmut und Todesgier. In diesem Leben war sie mein Licht.«
    Seine Finger waren kühl an Mias Schläfe, und als sie ihm in die Augen sah, da schien es ihr, als würden sie nicht auf der Mauer sitzen über der verlassenen Stadt, sondern als wären sie an einem anderen Ort, in Lyskians Haus in Paris vielleicht, in einer Kirche, die seit Jahrhunderten kein Mensch mehr betreten hatte, oder in einem Mohnfeld mit rotglänzenden Blüten. Sie schaute in die Schatten seiner Augen, und da tauchte ein Bild aus ihnen auf, es war das Gesicht eines jungen Mädchens mit lockigem braunen Haar, das ungebändigt ihr Gesicht umspielte, und kastanienbraunen Augen, die

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