Grim
sie sich in einem Wald befand, hörte die Schreie von Kämpfenden und roch den Duft von vampirischem Blut.
»Eines Nachts überfielen wir eine Horde unseresgleichen«, fuhr Lyskian fort. »Sie hatten Menschen geraubt, viele von ihnen waren bereits tot, doch ein Kind war noch am Leben, ein Junge. Ich rechnete fest damit, dass Fenya ihn töten würde, denn sie verachtete die Kinder der Menschen. Doch sie behielt ihn. Der Junge schlief bei uns und begann, uns zu vertrauen. Ich sah die beiden wie Mutter und Sohn am Feuer sitzen, und ich erinnere mich an einen Abend, da Fenya an seinem Bett stand und ihm beim Schlafen zusah. Er ist so friedlich, hatte sie gesagt, dass ich es nicht begreifen kann. «
Mia hielt den Atem an, als sie die schmale, in eine lederne Rüstung gekleidete Gestalt Fenyas in dem kargen Zimmer sah, schwach erhellt vom Feuerschein, und das Gesicht des Kindes, bleich und voller Zutrauen in etwas, das es nicht fassen konnte. Sie musste an Grim denken, daran, wie er auf Carven hinabgesehen hatte mit diesem hilflosen und zugleich so zärtlichen Blick, und ihr zog sich das Herz zusammen, als sie in Fenyas Gesicht schaute und denselben Ausdruck auf ihren Zügen fand. Doch dann lächelte die Vampirin kaum merklich, und Mia flog ein eisiger Hauch über den Rücken.
»Bis heute sehe ich dieses Lächeln«, sagte Lyskian. »Es war wie ein Abgrund.« Er schlug kurz die Augen nieder, und umso stärker drangen seine Worte in Mias Bewusstsein. »Am nächsten Morgen war der Junge nicht mehr am Leben. Fenya hatte ihn im Schlaf getötet.«
Mia drängte die Bilder zurück, die mit seiner Stimme in ihren Gedanken entstanden. Sie wollte den Jungen nicht in diesem Zustand sehen und sie ertrug kaum das ausdruckslose Gesicht Fenyas, als diese Lyskian gegenübertrat.
»Wir verloren kein Wort darüber«, sagte er. »Wir reisten weiter umher, Fenya schien unverändert, lange ging das so, bis wir in einem Dorf eine Familie sahen. Die Kinder spielten auf dem Marktplatz, und Fenya beobachtete sie regungslos. Ich erinnere mich an das Lachen der Kinder und daran, wie still Fenya dastand, gelassen und ohne zu atmen. Und dann sagte sie plötzlich … «
» Als wären sie Münzen, die in einen endlos tiefen Brunnen fallen, ohne aufzukommen «, flüsterte Mia, denn noch während sie Fenya ansah auf dem Bild, das Lyskian ihr sandte, tauchten ihre Worte in ihr auf. » Und ich sehe ihnen zu. «
Sie meinte, die Schwärze in Lyskians Augen tanzen zu sehen, als er weitersprach. »Kurz darauf verschwand sie spurlos. Lange suchte ich nach ihr, und ich fand sie schließlich … zu Hause.«
Das Bild verschwamm und machte einer Ruine Platz, die Mia bereits kannte. Überall lagen Leichen herum, viele waren grausam verstümmelt, und dort saß Fenya inmitten der Asche und hielt ein Kind in den Armen. Ihr Haar wehte im Wind, und als sie aufstand und das Kind fast achtlos liegen ließ, da weinte sie nicht. Mia wusste, dass Fenya es getötet hatte, wie sie all die anderen getötet hatte, und ihre Augen waren so kalt geworden, dass Mia zu zittern begann. Da ging etwas wie ein Riss durch den Blick der Vampirin. Sie taumelte, fiel hart auf die Knie, und als sie die Hand hob und sie sich in die Brust stieß, fuhr Mia zusammen. Schwarzlodernd riss die Vampirin das Feuer der Dämonen aus ihrem Inneren, Blut rann ihr in Strömen über den Leib, und sie schaute zu Lyskian auf, der nun aus den Schatten trat. Sie sah zu ihm auf wie zu einem Engel.
»Sie starb nicht«, flüsterte Lyskian kaum hörbar.
Er trat vor seine Gefährtin hin, Mia bemerkte die Bitte in Fenyas Augen, und sie hörte deren Worte, heiser und verzweifelt: Sie fallen noch immer.
FüreinenMomentschiendieZeitstillzustehen.ÜberdeutlichhörteMiadasTosendesWindes,siefühltedieAscheflockenaufihremGesichtundnahmdenDuftvonLyskiansHaarwahr.EsrochwiedasMeer.DannpackteerFenyaanderKehle.GlühendschossdieKraftderDämoneninseineBrust,erschrieaufvorSchmerz,docherließseineGefährtinnichtlos.DermächtigeKältestrom,denerinsieschickte,ließFenyazusammensinken.Lyskianfingsieauf,erhieltseineGefährtinindenArmen,undMiaspürtedieStilleinseinemInneren,alsdieKälteFenyasBlutgefrierenließunddieTränenaufihrenWangenvereisten.EinLächelnlagaufihrenLippen,alssiestarb,unddiesesLächelnwares,dasMianachging,nochalssiebeiLyskianimMohnfeldstandunderFenyasAschevomWinddavontragenließ.
Mia fand sich neben ihm auf der Mauer wieder. Noch immer tosten die Ascheschleier in seinen Augen, und als er sanft über ihre Wange
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