Grim

blauen Haaren und glitzerndem Zylinder auf dem Kopf, der sie an den Sandmann erinnerte. Etwas Seltsames lag in den Augen dieser Puppen, ein Widerschein, der Mias Blick beantwortete, doch immer, wenn sie diesem Schimmer folgen wollte, fand sie doch nichts als maskenhafte Marionettengesichter.
    »Ihr seid nicht gekommen, um eine Puppe zu kaufen, nehme ich an«, sagte Alvinor und lächelte. »Ich habe Freude daran, sie herzustellen, ich hauche ihnen sozusagen Leben ein, und dann lasse ich sie hinaus in die Welt.«
    Remis flog zu einem Drachen mit farbigen Schwingen aus Holz und berührte ihn mit fasziniertem Lächeln. »Die sind sehr gut«, sagte er beeindruckt, und Alvinor lachte leise.
    »Herzlichen Dank, Herr Kobold«, erwiderte er. »Man könnte meinen, dass mehr in ihnen steckt als Tod und Ewigkeit, nicht wahr? Und manchmal glaube ich, dass dem auch so ist. Mit der Zeit entwickelt man ein Händchen dafür. Und ich mache das jetzt schon ziemlich lange – so lange, wie ich eben die Xaonen verwahre, und das ist … « Er zögerte, als würde er nachrechnen wollen, und wischte dann mit der Hand durch die Luft. »Nun, es ist lange her.«
    Grim zog die Brauen zusammen. »Soll das heißen … «, begann er, doch Alvinor grinste von einem Ohr zum anderen und nickte mit erkennbarem Stolz.
    »Ihr seid nicht der erste Gargoyle, der seinen Fuß über diese Schwelle setzt«, stellte er fest. »Aber womöglich seid Ihr der erste Hybrid. Nur wenige Außenstehende wussten zu Thorons Zeiten davon, wo die Xaonen verwahrt werden – die ältesten Beschwörungsbücher der Welt.«
    »AberThoronließdieBeschwörungenvonDämonenzu«,warfRemisein.»Soweitichweiß,taterdas,weilesdabeinichtumdieAnwendung,sondernumdieUnterwerfungdämonischerKräftegeht.«
    Alvinor lächelte listig. »In der Tat. Die Xaonen sind nicht so geheim wie manche Schätze der Bibliothek des Corax und auch nicht so gefährlich – zumindest drohte ihnen selbst zu Zeiten des alten Gargoylekönigs keine Gefahr. Aber … « Er hielt inne, und der Funke in seinen Augen wurde gleißend hell, als er Grim mit seinem Blick streifte. »Niemand weiß, wohin der Tanz am Abgrund uns führen kann, nicht wahr? Thoron war gut in allem, was er tat, doch einmal musste er fallen. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte alles mit sich gerissen, jeder hier weiß das inzwischen. Wir, die Ewigen, wussten es nur schon vorher. Also haben wir Vorsorge getroffen.«
    »Seit ich denken kann, sind die Beschwörungsbücher bei Euch in guten Händen«, sagte Lyskian. »Ebenso wie die Marionetten. Doch Ihr habt recht: Wir sind nicht wegen Letzteren gekommen.«
    Der Bibliothekar hob die Brauen. »Ihr habt euch eine finstere Nacht ausgesucht, um einen von ihnen zu rufen«, murmelte er. »Sie sind stärker, wenn der Wind von Osten kommt, das war schon immer so, weiß der Teufel, aus welchem Grund. Aber Ihr wisst, was Ihr tut, nehme ich an, und wenn nicht – was sollte ich dagegen ausrichten?« Er lachte wieder und entlockte Mia ein Grinsen, als er ungelenk mit den Schultern zuckte. Sie konnte sich vorstellen, wie Alvinor Lyskian mit einem Buch zu Leibe rückte, aber eine andere Waffe als das Wort hatte er vermutlich noch nie geführt.
    »Es ist ein Phy, den wir rufen wollen«, unterbrach Lyskian ihre Gedanken, und sofort wurde Alvinor wieder ernst.
    Der Vampir verdrehte die Augen, dann wandte er sich ab und lief ihnen voraus durch die Ausstellungsräume, die wie ein Labyrinth zusammenhingen und viel weiter in das Haus hineinreichten, als es von außen den Anschein gehabt hatte. »Nur zu«, rief er und stieß versehentlich gegen eine hölzerne Hexe, die aufgeregt mit den Lidern klimperte. »Offensichtlich steht Euch der Sinn nach etwas Nervenkitzel, also gut. Die Sammlung der Phy befindet sich oben.«
    Schweigend folgten sie ihm durch die Zimmer, Grim mit eingezogenen Schwingen, Remis derart aufgeregt, dass er immer wieder einzelne Puppen durch eine übermütige Berührung klappern ließ, und Lyskian so schweigsam, dass seine Stille Mias Gedanken anzog wie ein kreisender Strudel. Das Licht der Petroleumlampe tanzte über ihre Haut und ließ sie lächeln. Jakob hatte seine Liebe zu diesen Leuchten auch nach seiner Rückkehr aus der Welt der Feen nicht abgelegt, und gerade jetzt, da überall Dämonen herumstreiften und viele von ihnen zu allem bereit waren, konnte es gewiss nicht schaden, dieses Gift zur Hand zu haben.
    Alvinor führte sie über eine Wendeltreppe ins Obergeschoss des Hauses. Ein mit