Grim
Zornig starrte er Lyskian an. »Er warf mich in die Ketten der Jäger, er, der Verfluchte, der ewig Tückische, der Vollkommene … Und ich habe es ihm vergolten!«
Die Hitze seines Gelächters lief wie ein Messerschnitt quer über Mias Wange, und ein Bild tauchte vor ihr auf, das Bild eines Vampirs. Reglos lag er auf dem Boden eines Waldes, seine Haut war durchscheinend wie Glas, und sein langes helles Haar wehte im Wind. Er war tot, das stand außer Zweifel, und etwas Ungewohntes lag auf seinen Zügen, etwas, das Mia selten auf dem Antlitz eines so alten Vampirs gesehen hatte. Etwas wie … Zuversicht.
Lyskians Miene war ausdruckslos, doch die Schatten in seinen Augen loderten in schwarzem Feuer. Er drehte den Diamanten in seiner Hand, aber Ogrul achtete nicht darauf. Höhnisch lehnte er den Kopf zurück und nickte.
»Ja«, sagte er gedehnt. »Schon damals hattest du diesen Blick, den du noch immer nicht verbergen kannst, ganz gleich, wie viele Masken du auf dein schönes Gesicht zwingst. Es war ein großes Erbe, das Dakaskos dir hinterließ, nicht wahr? Bist du ihm gerecht geworden?« Er lächelte boshaft. »Ich sehe schon. Du gibst dich mit Menschen ab, Hoher Prinz. Wenn dein Meister das wüsste, würde er über deine Schwäche lachen. Zum Glück habe ich uns von ihm befreit!«
So schnell, dass Mia seiner Bewegung nicht folgen konnte, riss Lyskian den Diamanten in die Luft. »Schweig«, zischte er und traf den Dämon mit einem gleißenden Lichtstrahl. Ogrul stieß einen Schrei aus, auf seiner Stirn loderte ein Feuer auf. »Nenne uns den Weg zur Akademie der Schatten!«
Ogrul keuchte und fiel auf die Knie. Unverständliche Worte brachen aus seinem Mund, kurz glaubte Mia, er würde Lyskians Forderung erfüllen. Doch gleich darauf hob er den Kopf. Speichel troff über seine Lippen und verätzte den Stein, auf dem der Dämon kauerte. »Kreatur der Nacht nennst du dich«, grollte Ogrul und grinste verschlagen. »Aber du weißt nicht, was wahre Finsternis ist! Ich widersetze mich dir! Niemand zwingt mich mehr, einem Blutsauger zu dienen!«
Zorn flammte in Lyskians Augen auf. »N’achamyel«, raunte er, und obwohl Mia ihn nicht verstand, konnte sie an Ogruls Miene erkennen, dass er soeben aufs Heftigste beleidigt worden war. »Orr’krunntar Vis’ar Balvason!«
Mit diesen Worten stieß Lyskian die linke Faust vor. Ein roter Blitzzauber schoss aus seiner Hand und riss Ogrul auf die Beine. Der Dämon zuckte unkontrolliert, die Flammen seiner Augen versiegten zu grünglimmenden Kohlen, und Schmerzenslaute kamen aus seinem Mund, als würde er auseinandergerissen. Mia wandte sich ab, sie konnte die Folter kaum ertragen. Schlotternd hielt Remis sich die Hand vor das Gesicht und spähte vorsichtig durch zwei Finger hindurch, während Grim dastand, den Blick konzentriert auf Lyskian gerichtet. Mia fühlte die Kälte, die von dem Vampir ausging, und als sie ihn ansah, hielt sie den Atem an, so fremd erschien er ihr. Seine Haut war bleich wie weißer Marmor, seine Augen so schwarz, als würden sie jedes Licht verschlingen wollen, und auf seinem Gesicht spiegelte sich nichts, kein Zorn, kein Triumph, keine Sehnsucht. Oft schon hatte sie hinter den Schein aus Menschlic hkeit geschaut, den Lyskian in all den Jahrhunderten seiner Existenz vervollkommnet hatte, und war jedes Mal erschrocken vor dem, was sie gesehen hatte – vor dem, was es bedeuten musste, ein Vampir zu sein. Und auch jetzt, da sie ihn so sah, ging ihr derselbe Gedanke durch den Kopf: wie irrsinnig es war, dass sich ein solches Wesen hinter einem menschlichen Äußeren verbergen konnte, ein Geschöpf von solcher Grausamkeit, solcher Gier – und solcher Schönheit.
Lyskian riss den Arm hinab, keuchend landete Ogrul auf dem Boden, doch der Blitz hüllte ihn noch immer ein und riss die Schatten von seinem Körper, bis sie von ihm herabhingen wie Fetzen aus Haut. Zitternd hob er die Hand. Mia glaubte zuerst, er wollte nach etwas greifen, doch dann sah sie, dass er auf Lyskian deutete – und lächelte.
»Du … «, keuchte er, während sein anderer Arm unkontrolliert gegen seine Brust schlug. »Du trägst die Kraft meines Volkes … Ich kann es spüren … Du hast sie vor langer Zeit bekommen … und auf ihrem Grund … liegt Schmerz!«
Grim trat vor, Mia bemerkte die Anspannung, die über Lyskians Gesicht lief – und den Funken, der aus dem Finger des Dämons glitt und über den Blitzzauber auf ihn zuflog. Zischend schlug er in seiner Faust ein, Lyskian
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