Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz
Sitzkrieg. Männer und Frauen, die heute in den Siebzigern waren, erzählten von der Verdunkelung und dass man nach Einbruch der Dunkelheit nirgends mehr hingehen konnte, weil man schlicht nichts sah. »Dauernd stolperte man über die verdammten Sandsäcke, tastete sich zwischen den Reihenhausblocks vorsichtig durch die Dunkelheit, ging einen Gartenweg hoch und versuchte, die falsche Tür aufzuschließen.« Ein Mann sagte, er habe sich über ein Gewitter fast gefreut, denn dann konnten sich die Leute im Schein der Blitze orientieren. Kein Licht, keine Taschenlampen, keine Scheinwerfer - es herrschte Finsternis wie in einer Höhle. »Wie wenn man in einer Scheißhöhle herumirrt, so war das.« Jury war, als hörte er die Stimme seines Onkels dies sagen. Er selbst musste es in jenen Monaten so wahrgenommen haben, nachdem ihre eigene Wohnung in der Fulham Road direkt getroffen worden war. Als er seine Mutter unter einem Trümmerhaufen hatte liegen sehen.
Aber war es denn so geschehen? War er überhaupt dort gewesen? War dies der Grund, weshalb er nicht in jene Zeit zurückgezwungen werden wollte? Hatte er begonnen, sein eigenes Erinnerungsvermögen in Frage zu stellen ?
Er musste unbedingt seine Cousine in Newcastle anrufen, um zu erfahren, woran sie sich noch erinnerte. Besser noch - er würde hinfahren. Nur, warnte er sich selbst, würde sie mit der Erinnerung nicht so sorgsam umgehen. Wahrscheinlich würde sie sich eher an das erinnern, was ihn unglücklich, was ihn traurig machte, und dann die traurigen Aspekte noch ausschmücken.
Denn wenn er eines wusste, dann dies: Traurig war es gewesen und traurig würde es sein.
7
Benny Keegan und sein Hund Sparky stiegen die Betonstufen hinauf, um die Straße am Themseufer zu überqueren und auf der anderen Seite in den Bus zu steigen, der sie über die Waterloo Bridge zur South Bank bringen sollte.
Benny machte für mehrere kleine Händler in Southwark Botengänge. Er wusste, dass er mit den flinken, behelmten Fahrradboten nicht mithalten konnte, aber Geschwindigkeit war schließlich nicht alles (hatte er seinen zukünftigen Arbeitgebern gesagt). »Sparky bringt ein wenig gute Laune in den Alltag Ihrer Kunden.« Benny (und Sparky) waren von den fünf Läden, denen er seine Dienste angeboten hatte, angeheuert worden und bei dreien davon gerade deswegen, weil Sparky tatsächlich ein wenig gute Laune in den Alltag brachte. Die beiden anderen, der Zeitschriftenhändler und der Fleischer, hatten sich zu einer Probezeit bereit erklärt, denn Benny (und Sparky) waren billige Arbeiter. Das war vor einem Jahr gewesen.
Es handelte sich hierbei also um: Mr. Siptick, den Zeitschriftenhändler; den Fleischer Mr. Gyp; die beiden jungen Männer bei Delphinium, dem Blumenladen, die Benny selbst wie hohe, dünne, pastellfarbene Blumen vorkamen; den Gemüsehändler Mr. Smith, und schließlich Miss Penforwarden, die Besitzerin der Buchhandlung Moonraker.
Diese fünf Läden lagen praktischerweise alle im Umkreis von ein paar Straßen, so dass Benny von einem zum anderen gehen und sich nacheinander einen Zeitplan für die Lieferungen ausarbeiten konnte. Das machte er einmal morgens und dann wieder am Nachmittag, um zu sehen, ob weitere Lieferungen dazugekommen waren. Er war sehr effizient, und die Art, wie er seine Geschäfte führte, funktionierte ziemlich reibungslos.
Er hätte seinen abwechslungsreichen Arbeitstag um nichts auf der Welt gegen einen regulären Job eingetauscht (wozu auch gar keine Gelegenheit bestand, da er erst zwölf war). In der Zeit zwischen den Botengängen, und es gab immer Zeit, konnte er eine Pause machen und sich ein wenig in den Läden umsehen, die er belieferte. Sein Lieblingsladen war der Moonraker. Während er darauf wartete, dass Miss Penforwarden die Bestellungen für ihn zusammenpackte, konnte er sich ein Buch herausnehmen und lesen.
Sparky saß still da und störte keinen, nicht einmal die Katze des Moonraker, die sich redlich bemühte, Sparky dazu zu bewegen, dass er sie jagte. Das tat Sparky aber nicht. Benny hatte keine Ahnung, wo Sparky diese Disziplin gelernt hatte, aber vielleicht war er früher einmal in einer Zirkus- oder Zaubernummer aufgetreten, bevor Benny ihn damals in einer Mülltonne herumschnüffelnd gefunden hatte. Das Einzige, was Benny ihm beigebracht hatte, war, Sachen im Maul zu tragen. Zeitungen und Zeitschriften waren einfach. Aber von den Besitzern des Delphinium wurde Sparky sogar damit betraut, Blumen zu tragen.
Dazu
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