Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz
würde sie bloß glauben, ich verstecke was vor ihr. Ganz schön argwöhnisch ist sie. Na ja, ist aber doch eine gute alte Mum. Eins muss ich ihr lassen - sie hat wirklich ein Händchen dafür. Hätte 'ne gute Tipperin abgegeben.« Nachdem die Tür hinter ihnen zugemacht worden war, blieb Benny reglos stehen, bis Sparky ihn anstupste. Beide trotteten weiter zum Moonraker.
Dort ging es vier Treppenstufen hinunter, und jede Stufe zeigte einen in Gold gemalten Mond in unterschiedlichen Phasen. Dafür hatte Sybil Penforwarden extra einen Kunstmaler kommen lassen. Drinnen waren die Wände aus braunrotem Backstein. Der Raum hatte auf zwei Seiten bogenförmige Türöffnungen, die zu weiteren mit Büchern vollgestopften Kammern führten.
Beim Öffnen der Tür ertönte eine kratzige Glocke, die Miss Penforwarden aus dem Dunkel der hinteren Regale ins Dunkel der vorderen eilen ließ. Benny blickte suchend um sich und rief dann: »Morgen, Miss Penforwarden.« Der kleine Laden war spärlich beleuchtet, doch das war einer der Gründe, weshalb es Benny hier so gut gefiel. Düstere Wandleuchter waren vor die Backsteinwände gesetzt, und von der Decke hing eine alte Lampe mit Metallschirm, die die Bücher in fahles gelbes Licht tauchte. Davon wurden einem die Augenlider ganz schwer. Er fand immer, der Laden hätte so etwas Verlassenes, Verlorenes an sich, etwas Fremdes, nicht von dieser Welt. Vielleicht lag es bloß an dem Namen.
Miss Penforwarden trat aus dem rückwärtigen Teil des Ladens hervor, fröhlich wie immer.
»Benny, bin ich froh, dass du heute Morgen vorbeikommst. Ich mache gerade ein Paket mit Büchern fertig, die ins Lodge hinüber müssen. Kannst du sie hinbringen?«
Natürlich konnte er, wie sie sehr wohl wusste. Trotzdem gebärdete sie sich immer so, als wäre Bennys Auftauchen hier ein glücklicher Zufall, etwas, das nur unregelmäßig stattfand, obwohl er seit einem Jahr immer pünktlich wie die Uhr kam. Sie machte gern Anspielungen auf sein »richtiges« Leben, als gingen darin wichtige Dinge vor und der Moonraker wäre bloß ein belangloses Intermezzo.
»Such dir einfach ein Plätzchen, ich bin in ein paar Momentchen wieder da.«
»Okay«, sagte er. Es würde viel länger als nur ein paar Momentchen dauern, bis sie wieder da wäre. Mit Sparky dicht auf den Fersen, steuerte er auf das Bücherregal zu, das gleich neben dem Fenster stand. Er mochte diesen Raum mit den Nischen, in denen Stehlampen neben Lehnsesseln standen, falls ein Kunde mehr Licht für ein stilles Lesestündchen brauchte. Die Chintzbezüge waren verschossen und fadenscheinig, was sie nur noch gemütlicher machte. Auch um klebrige Kinderhände und schmutzige Schuhe musste Miss Penforwarden sich diesbezüglich nicht allzu große Sorgen machen. Weiter hinten befand sich die Kinderecke mit einem Tisch und kleinen Stühlen, Kuscheltieren, Bauklötzen und Puzzles. Allerdings hatte Benny dort noch nie ein Kind gesehen, denn die paar, die hier auftauchten, strebten immer in den vorderen Raum.
Miss Penforwarden hatte Benny erzählt, dass der Raum früher der Weinkeller des Hauses gewesen sein musste (das inzwischen in kleine Wohnungen unterteilt war). Der einzige Zweck, dem es sonst hätte dienen können, sei als Verließ, meinte Benny. Ihm gefiel die Vorstellung von einem Verließ. Er war noch nie im Tower von London oder in einem der hochherrschaftlichen Häuser und Schlösser gewesen, die ein Verließ hätten beherbergen können. Über das Leben im Verließ war also trefflich zu spekulieren. Doch der Gedanke, in ein Verließ geworfen zu werden, jagte ihm weniger Angst ein als die Tatsache, dass er sich immer neue Erklärungen ausdenken musste, wieso er nicht in der Schule war. Zuerst wollte er eine Krankheit vorschieben, einen Herzfehler seit frühester Kindheit etwa. Doch dann hatte jemand gesagt, wenn einer so schuftete wie er, würde das das Herz viel mehr anstrengen, als wenn er bloß im Klassenzimmer säße. Dann hatte er behauptet, es sei sein Asthma, und zum Beweis ein paarmal absichtlich keuchend gehustet. Es war vor allem Mr. Gyp, der ihm damit ständig auf die Nerven ging, und er versuchte, möglichst darüber hinwegzugehen.
Benny holte sich David Copperfield aus dem Regal und suchte die Stelle, die er mit einem Zahnstocher markiert hatte. Miss Penforwarden hatte bestimmt nichts dagegen.
Seine Gedanken schweiften jedoch von der Seite ab und er dachte an jenes »richtige« Leben, auf das Miss Penforwarden so gern anspielte, das
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