Grimes, Martha - Inspektor Jury 20 - Inspektor Jury kommt auf den Hund NEU
dass sie da ist. Und dann - wusch! -« Dryer machte mit der Hand Kreise in die Luft -»ist sie weg, verschwunden, samt Junge und Hund. Ist doch sehr interessant! Wieso sie will, dass man glaubt, sie sei verschwunden.«
»Faszinierend.«
»Hm.« Dryer hob den Blick und ließ ihn durch den Raum schweifen, als wollte er einen umherirrenden Gedanken festnageln. »Vielleicht geht es einzig und allein darum - um die Faszination.«
Wieder lächelte Harry. Er schien sich prächtig zu amüsieren. »Ich bin mir nicht sicher, was Sie meinen.«
»Nun, es hat fast etwas von einer sexuellen Verlockung, nicht? Ein Mann, der von der Schönheit oder Sinnlichkeit einer Frau überwältigt ist, wird wohl kaum merken, dass sie dumm ist wie Bohnenstroh.« Dryer deutete ein Lächeln an, ließ es aber gleich wieder ersterben. »Mit anderen Worten, er wird nicht versuchen, aus ihr schlau zu werden, er wird nur versuchen, sie ins Bett zu kriegen.«
Harry strahlte. »Sehr gut, Chief Inspector.«
»Danke.« Dryer ließ wieder ein Lächeln aufflackern.
»Alles ziemlich verwirrend, nicht?«, sagte Harry.
»Außerordentlich, und doch... kommt sie Ihnen jetzt denn bekannt vor, Mr. Johnson?«, fragte Dryer. »Haben Sie es sich anders überlegt?«
Entweder fiel Harry der sarkastische Ton nicht auf, oder es war ihm egal. Er überlegte.
(Und noch eine Geschichte, dachte Jury.)
»Na schön. Sehen Sie«, begann Harry. »Ich will ja nicht leugnen, dass ich nicht hundertprozentig offen zu Ihnen war -«
Ach, wirklich ?, dachte Jury, gleichzeitig wütend und fasziniert. Nachdem er seine Geschichte zu einem zufrieden stellenden Ende gebracht hatte, so schien es Jury jedenfalls, denn Harry saß da, einen Arm bequem über die Rückenlehne eines zweisitzigen Sofas gelegt, rauchte und lächelte vor sich hin, fragte sich Jury, was er sich nun als Nächstes einfallen lassen würde.
Harry ließ den Arm sinken, beugte sich vor und sagte ganz ernst und feierlich: »Doch, ich erkenne sie. Ich sagte, die Frau auf dem Foto sei nicht Glynnis, nun, das stimmt, aber dann sagte ich auch, ich hätte sie noch nie gesehen. Das ist nicht wahr. Allerdings sah die Frau in Venedig oberflächlich betrachtet recht anders aus -ihr Haar, die stark betonten Augen, die Kleidung, Wangenknochen und Nase waren denen auf Ihrem Foto aber recht ähnlich. Vermutlich dachte ich deswegen nicht an die Venezianerin, weil ein totes Gesicht selten aussieht wie ein lebendiges. Es fehlt ihm der belebende Ausdruck.«
Jury war klar, dass Harrys verlegenes Achselzucken und das burschikose Lächeln bloß Fassade waren.
Dryer sagte: »Dann kannten Sie sie also, Mr. Johnson?«
»Ja, doch. Ihr Name ist Rosa Paston. Eigentlich Pastoni, sie hat ihn aber abgekürzt. Sie wollte es lieber etwas weniger italienisch haben. Ihr Vater war Italiener, ihre Mutter Engländerin -«
»Klingt genau wie Ben Torre«, sagte Jury.
Harry ignorierte ihn und sprach weiter, während er aufstand und zu seinem Schreibtisch hinüberging. »Ich begegnete ihr in Venedig -«
»Sie waren noch nie dort gewesen, bevor Sie Ben Torre trafen«, sagte Jury. »Wo?« »In Italien.« Harry schloss genervt die Augen vor dieser Begriffsstutzigkeit. »Nein, Superintendent. Als ich >dort< sagte, meinte ich Florenz, nicht ganz Italien. Selbstverständlich war ich schon in Venedig gewesen. Da war doch jeder, nicht? Darf ich fortfahren?«
Jury nicktfe, unmerklich lächelnd. »Bitte.« Dann schüttelte er den Kopf und sah auf das Muster im Teppich hinunter - kompliziert, reich verziert, aber nicht annähernd in dem Maße wie Harry Johnson.
»Ich lernte sie, wie gesagt, in Venedig kennen.« »Wann war das?«
»Vor einem Jahr. Letzten Sommer, Ende Juni muss es gewesen sein.«
»Also kurz bevor diese Paston nach England kam.«
»Ganz recht.« Harry lehnte sich gegen seinen Schreibtisch und schnippte die Asche von seiner Zigarette in einen silbernen Aschenbecher.
Dryer sagte: »Sie hatten etwas mit ihr, wollen Sie das damit sagen?«
»O nein. Ich war ihr vorher noch nie begegnet. Ich war dort -um zu verhandeln.«
Jury erinnerte sich an die Szene im Jack and Hammer, als sie alle über Henry James redeten... und dann der ältliche Betrüger auftauchte. »Wie Lambert Strether.«
»Was hat das damit -« Dryer war die Verärgerung über Jurys Unterbrechung anzumerken.
Harry legte bloß den Kopf schief und sagte: »Ah! Ein Polizist, der Henry James liest! Nein, nicht wie Strether. Der war ja ein Amerikaner, wie er im Buche
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