Grimes, Martha - Inspektor Jury 20 - Inspektor Jury kommt auf den Hund NEU
Sessellehnen erhob er sich. »Meine Herrn, hat mich gefreut, besten Dank für den Kaffee. Ich würde ja gern bleiben, habe aber eine Verabredung zum Mittagessen.«
»Ein hochkarätiges Arbeitsessen?«, erkundigte sich Melrose.
»Nein. Ein Pubessen. Hochkarätiger wird es bei mir nie.«
Alle drei, fiel ihm auf, hatten die Augen zusammengekniffen und musterten ihn argwöhnisch. Plants Blick war noch verkniffener als der der beiden anderen. Dann lehnte Melrose sich Zigarre paffend zurück, die Augen immer noch fest zusammengekniffen. Bei seinem Anblick kam Jury kein stinkreicher, adliger Gutsbesitzer in den Sinn, sondern eher Humphrey Bogart in Casablanca. »Gibt's da was zu lachen?«
»Nein, gar nichts«, sagte Jury.
An Trevors Platz war diesmal ein anderer, etwas älterer Barmann mit kehligem Nordlondoner Akzent, der sich das Gläsertuch lässig über die Schulter geworfen hatte. Jury fragte sich, wo Trevor wohl steckte; vielleicht hatte er seinen freien Tag. Außerdem überlegte er, ob sich dieser Kerl mit Wein ebenso gut auskannte wie Trevor. Er bezweifelte es. Nur wenige konnten da wohl mithalten.
Jury war früh dran für sein Treffen mit Harry und genehmigte sich einen Drink an der Bar. Dass er schon mittags etwas trank, beunruhigte ihn ein wenig. Das tat er selten, wenn auch nur aus dem Grund, dass ihm meist die Zeit dafür fehlte.
Mittags waren mehr Gäste im Lokal als am Abend - Aktienhändler, Finanzfachleute und Angestellte aus den umliegenden Büros. Irgendwo hatte er gelesen, dass dieses Pub als einziges den Großen Brand überlebt hatte und demnach bereits aus dem 17. Jahrhundert stammte. Das an sich war schon eine beachtliche Leistung. An den mit dunklem Holz getäfelten Wänden hingen Reklameschilder für diverse Weine und Stiche von Altlondoner Szenen. Er überlegte, ob einige der gerahmten Dokumente etwas mit der Geschichte des Pubs zu tun hatten.
Das Lokal war brechend voll. Rauch hing wie eine abgehängte Decke in der Luft, was Jury maßlos ärgerte, denn das Einatmen von anderer Leute Zigarettenrauch war im Grunde genauso ungesund, wie wenn man selbst rauchte. Es war zum Davonlaufen: Raucher hatten den Spaß, während diejenigen, die es sich unter Qualen abgewöhnt hatten (und, wenn er von sich selbst ausging, immer noch Qualen litten), es genauso gut hätten bleiben lassen können. Eine Weile spielte er mit dem Gedanken, der Versuchung nachzugeben.
Er verwarf diesen Gedanken und ließ sich das Gespräch bei Boring's noch einmal durch den Kopf gehen. Er sollte noch einmal mit der Maklerin sprechen. Vielleicht konnte sie sich in Bezug auf Glynnis Gaults Telefonanruf etwas präziser fassen. Allerdings war Jury sich ziemlich sicher, dass in diesem Fall die naheliegendste Erklärung auch die richtige war.
»Essen Sie gerade was zu Mittag?«
Jury wandte sich um und sah Harry Johnson, der einen anderen Mantel trug, diesmal aus Kamelhaar, aber offensichtlich ebenso teuer. »Nein, bloß das hier.« Er tippte an sein Glas.
»Oben gibt es übrigens auch ein sehr gutes Restaurant.«
Jury sah zu Boden. »Wo ist Mungo?«
Harry lachte. »Im Wagen draußen. Ich stehe im Parkverbot. Gehen wir, falls Sie fertig sind. Tut mir leid, kein Mittagessen.«
Jury nickte, ließ das halbvolle Glas stehen und kam zu dem beruhigenden Schluss, dass er doch kein Mittagstrinker war. Die Vorstellung, noch ein Laster ablegen zu müssen, wäre nämlich unerträglich.
Mungo setzte sich so hin, dass er den Kopf aus dem Fenster strecken konnte.
»Warum machen Hunde das eigentlich?«
»Keine Ahnung. Vielleicht mögen sie es einfach, wenn es windet und weht.«
Windet und weht. Jury musste wieder an die Ryders denken und an Pferderennen. Und an Neil. Ein Jammer, ach, ein furchtbarer Jammer, dachte er, während sie sich an einem BMW vorbei manövrierten, der auf der Upper Thames Street zu einer gemächlichen Mittagsfahrt unterwegs war. Dann ging es in rasendem Tempo das Embankment entlang.
Die Stoddard-Klinik war im gotischen Stil erbaut und mit Toren verrammelt, auf deren grauen Steinpfeilern zu beiden Seiten steinerne Löwen saßen. Autofahrer mussten anhalten und die in einen der Pfeiler eingelassene Gegensprechanlage betätigen. Harry drückte auf den Knopf, und eine mit Rauschen vermischte Stimme erkundigte sich nach seinem Begehren.
»Ich möchte Mr. Gault besuchen. Mein Name ist Johnson.«
Schweigen, dazu das Gestotter der statischen Störung.
»Dann sind Sie Mr. Harry Johnson, Sir?«
»Der bin ich.«
Das Tor
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