Grimes, Martha - Inspektor Jury 20 - Inspektor Jury kommt auf den Hund NEU
solche Ausstattung hier als therapeutisch wertvoll erachtet. Jury mochte wetten, dass es eine Stange Geld kostete.
»Ein Detective Superintendent? Meine Güte!« Hugh Gault deutete mit einem kurzen Kopfnicken zu Harry Johnson hinüber. »Müssen wir uns jetzt gegenseitig ein Alibi verschaffen? Ich für meinen Teil bin seit acht Monaten hier drin. Dafür gibt es jede Menge Zeugen. Für Harry dagegen kann ich nicht die Hand ins Feuer legen. Der könnte hier oder da oder überall sein.«
»Wie ein Teilchen«, sagte Jury lächelnd. »Das nicht identifiziert werden kann, weil es sich nicht messen lässt.«
Hugh warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Das ist eine der besten Beschreibungen für Harry, die ich bisher gehört habe. Sie interessieren sich für Quantentheorie?«
»Das bisschen, das kleine bisschen, das ich darüber weiß - ich würde schon sagen, ja.«
Harry fragte: »Wie kommt das Buch voran, Hugh?« »So allmählich. Es wäre einfacher, wenn du mir meine verdammten Notizen zurückgeben würdest.« Er klang nicht verärgert oder gar ungehalten, eher gut gelaunt. Zu Jury sagte er: »Sagen Sie, Superintendent, wie weit sind Sie denn mit dem Beweis für unsere kriminelle Verschwörung schon gekommen?«
»Ich? Nicht sehr weit. Ich stecke bei Schrödingers Katze fest.«
»Ah! Gut für Sie!«
»Vielleicht. Ich bin mir nicht sicher, wie gut es für die Katze ist.«
Wieder musste Hugh lachen. »Sie besitzen ja eine rasche Auffassungsgabe, Superintendent.« »Nein, von der Welt der Quanten begreife ich eigentlich gar nichts.«
»Denken Sie nur daran: Was das Verhalten in unserer
Alltagserfahrung steuert und lenkt, ist in der Welt der Quanten völlig wirkungslos. Schrödingers Wellenfunktion war eine der revolutionärsten Erkenntnisse in der Quantenphysik. Die Wellenfunktion.«
Jury musste lächeln, wie Hugh Gault es sich im Mund zergehen ließ, wie eine köstliche Praline oder einen Schluck Single Malt. »Es ist eine mathematische Größe. Man muss dazu Schrödingers Gleichung lösen.«
»Schrödingers Katze. Die gleichzeitig tot und lebendig... «
Hugh wandte sich ab und verstummte. Dann sah er Jury wieder an. »Entschuldigen Sie. Ich habe Schweres durchgemacht, und es ist -« Er seufzte. »Ich vermisse meine Frau. Und meinen Sohn.« Jury konnte nachvollziehen, dass die zwiespältige Lage der Katze - nein, mehr noch als eine zwiespältige Lage - ihm in diesem Zusammenhang als Analogie erschien. Sie schwiegen eine Weile, dann schaltete Harry sich ein, um die peinliche Stille zu beenden. »Ich kann mir schon vorstellen, dass die Quantentheorie auf einen Detektiv eine gewisse Anziehungskraft ausübt. Während man die Dinge anblickt, verändern sie sich. Wie misst man also? Aus einem Ding werden zwei. Gleichzeitig tot und lebendig. Schrödinger hat jedenfalls deutlich auf einen der wesentlichen Punkte in der Uberlagerungstheorie hingewiesen.«
»Überlagerung? Was ist das?«, fragte Jury.
Wieder ganz in seinem Element, meinte Hugh: »Nehmen Sie Folgendes: Sie haben doch schon mal Kieselsteine ins Wasser geworfen, ja? Das Resultat sind konzentrische Kreise, die sich nach und nach ausbreiten. Wenn Sie nicht weit vom ersten wieder einen Kieselstein hineinwerfen, passiert wieder das Gleiche: Kreise breiten sich aus. Doch jetzt entsteht durch die Überlappung dieser beiden Konfigurationen eine dritte Konfiguration. Und schon haben Sie einen Ausschnitt dieser Kreise, der zwei Dinge gleichzeitig ist und folglich ein drittes Muster bildet. Überlagerung. Sie sehen skeptisch aus, Superintendent.«
»Nein, eher dämlich.«
Beide lachten. Hugh sagte: »Schrödingers Katze. Die gleichzeitig lebendig ist und tot. Das ist Überlagerung. Sehen Sie, was auf mikroskopischer Ebene stimmt, befindet sich im Konflikt mit dem, was wir mit eigenen Augen sehen. Mit der makroskopischen Ebene. Der Katzenebene beispielsweise. Die Katze trifft auf den sich zersetzenden Nukleus, und wenn dies geschieht, wird das Gift freigegeben und die Katze stirbt sofort.« Hugh lächelte. »Denken Sie dran: Sobald Sie nachschauen, verändern Sie das Resultat. Ein Aspekt von Heisenbergs Unsicherheitsprinzip besteht darin, dass sich der Akt der Beobachtung im Endeffekt auf den beobachteten Gegenstand auswirkt.«
Jury nahm das Gesagte nicht zur Kenntnis. Er versuchte statt dessen, sich an etwas zu erinnern, was Harry im Pub gesagt hatte, kam aber irgendwie nicht darauf. Schrödingers Katze. Was Harry gesagt hatte, schien irgendwie nicht zu
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