Grimes, Martha - Inspektor Jury 20 - Inspektor Jury kommt auf den Hund NEU
klang irgendwie nicht richtig. »Die Stringtheorie besagt, es gibt zehn Dimensionen, neun räumliche und eine -«
Wiggins unterbrach ihn. »Ah, da sehen Sie doch, dass diese Theorie völlig falsch ist. Es gibt drei Dimensionen oder vier, wenn man die Zeit dazuzählt. Diese Theorie vertut sich also um sechs.« Höchst zufrieden mit sich selbst nippte er an seinem Tee.
(Na bitte!) Jury beugte sich so weit er konnte über seinen
Schreibtisch. »Es ist eine Theorie, Menschenskind, so sind Theorien nämlich nun mal. Es ist eine Hypothese.«
»Eine Vermutung, meinen Sie.«
»Schon, aber das ist eine sehr grobe Definition von >Hypothese<. Eine Theorie ist etwas, das darauf wartet, bewiesen zu werden.«
Wiggins kicherte. »Da kann sie aber lange warten.«
Himmel noch mal, war denn plötzlich jedem außer ihm selbst ein Gehirn gewachsen?
Als sein Telefon klingelte, fuhr Jury hoch und griff danach wie nach einer rettenden Leine. Es war aber nur Fiona dran, die ihm mitteilte, Chief Superintendent Racer wolle ihn sprechen. »Er ist abwechslungsweise mal nicht schlecht gelaunt.«
»Das bedeutet bestimmt, er ist mit der beneidenswerten Aufgabe betraut worden, mich um meinen Dienstausweis zu erleichtern und mich mit einem Fußtritt auf die Straße zu befördern.«
Sie kicherte, ähnlich wie Wiggins vorhin. »So gut gelaunt ist er auch wieder nicht.«
Jury nahm sein Jackett von der Rückenlehne seines Drehstuhls. Endlich ein Geschöpf, für das Gehirn nie ein Thema war. Er warf Wiggins einen bösen Blick zu und verließ das Büro.
24
Es ging lediglich um einen Zwischenbericht über die Fortschritte bei den Ermittlungen, da im Hinblick auf Jurys Fall noch keine Entscheidung getroffen worden war. Nichtsdestotrotz nahm Racer die laufende Untersuchung zum Anlass, ihm erneut eine Lektion zu erteilen: wie man nach den Regeln spielte, im Team agierte und sich nicht selbst als Held aufspielte. Das Etikett »Held« hatte den ganzen Ärger überhaupt erst hervorgerufen, denn Jury und Detective Sergeant Cody Platt, der mit ihm zusammen in das Haus in der Hester Street gegangen war, wurden als Helden gefeiert, weil sie die zehn kleinen Mädchen gerettet hatten. Zumindest war das der allgemeine Tenor in den Medien.
Während Racer weiterquasselte (inzwischen war er aufgestanden und ging unruhig im Raum umher), grübelte Jury über die Stringtheorie nach. Superstring. Wie konnte ein Physiker sein ganzes Hirnschmalz für ein Teilchen verwenden, das so klein war, dass man es als Milliarden und Abermilliarden Mal kleiner beschreiben musste als das ihm vorausgehende Ding auf der Liste -ein Atom vielleicht? Milliarden. Jury konnte es sich nicht einmal in Kategorien von hundert vorstellen. Wie konnte jemand wie Hugh Gault so leicht mit Milliarden herumjonglieren, als würde er Ton kneten? Irgendwie mutete es an wie diese kleinen russischen Puppen, wo beim Auseinandernehmen immer eine kleinere und noch kleinere herauskam, bis es schließlich mit einer so winzigen endete, dass man sie nicht einmal mehr sehen konnte. Er musste an Quarks denken. Charm-Quarks. Er sah Racer lächelnd an. Ob es auch uncharmante Quarks gab? Wieso eigentlich nicht?
»Jury! Warum, zum Teufel, kneifen Sie die Augen zusammen? An was denken Sie?«
»An Quarks - ich meine, an Quacksalber. Ich überlegte gerade, ob dieser Arzt, zu dem ich beordert wurde, nicht womöglich auch einer ist. Ein Quacksalber.« Er lächelte. Man hatte ihm einen Polizeipsychologen empfohlen, eine Empfehlung, die er nicht aufgegriffen hatte.
Racer genoss es immer, wenn von anderen Berufszweigen schlecht geredet wurde, solange es nicht sein eigener war. »Sie gehen hübsch weiter zu dem Doktor, Freundchen. Guten Eindruck machen!«
Man nahm an, die Sache in dem Haus in der Hester Street müsse eine traumatische Erfahrung gewesen sein. War sie aber gar nicht. Wenn überhaupt, so war sie befreiend gewesen.
»Jawohl, Sir.« Jurys Blick war inzwischen auf den Kater Cyril gerichtet, der in der flachen Krümmung der Deckenleiste geruht hatte, mit der die indirekte Beleuchtung kaschiert war, lauter kleine Lichter, die über die Decke wanderten. Cyril setzte sich auf, um sein Opfer, natürlich Chief Superintendent Racer, ins Visier zu nehmen, der im Zimmer auf und ab ging. In letzter Zeit hatte Cyril sich einen Spaß daraus gemacht, nicht direkt auf ihn loszustürzen, sondern glatt über Racers Kopf herabzusegeln. Der Kater nahm bereits Schwung, für die reibungslose Flucht müsste die Bürotür
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