Grimes, Martha - Inspektor Jury 20 - Inspektor Jury kommt auf den Hund NEU
an Liebe. Er fragte sich, was wohl mit ihren Eltern geschehen war. Wieso begegnete er ständig mutterlosen Kindern? Er wusste, wie es sich anfühlte, er wusste, dass es immer weiterging und nie aufhörte. Er wusste, dass es einen Einfluss darauf hatte, wie er mit seinen Mitmenschen umging. Hier schon wieder: Kaum war er in der Tür, überkam ihn bereits eine heftige Abneigung gegen Brenda Hastings. »Wegen der beiden Kinder bin ich gar nicht gekommen.«
Sie schob sich eine dicke gelbe Strähne aus dem Gesicht - ihr Haar war nicht blond, sondern gelb, grellgelb, und der Glanz, den es einmal gehabt hatte, war längst verblasst.
»Ich brauche eigentlich nur eine Auskunft.«
»Ach.«
Jury deutete zu dem wenig einladenden Wohnzimmer des vollgestopften Hauses hinüber. »Darf ich Platz nehmen?«
»Ja, gehen Sie einfach durch.« Sie bedachte ihn mit einem etwas verstörten Lächeln.
Jury setzte sich in einen Sessel, bedeckt mit einem billig aussehenden Stoff, der sich rau anfühlte und ein monströses Sonnenblumenmuster trug. Die Rüschenvorhänge an den beiden Fenstern ihm gegenüber waren ebenfalls mit Sonnenblumen bedruckt.
Mathildas Tante setzte sich auf die Kante des in dunklem, deprimierendem Grau gehaltenen Sofas. »Na dann -«
»Kennen Sie das Winterhaus?«
»Das Riesenhaus drüben mit dem Haufen Bäumen? Drin war ich nie, aber ich weiß, welches Sie meinen. Da wohnt aber niemand. Ich glaube, die wollen es vermieten.«
»Sie sind die nächste Nachbarin, abgesehen von den Shoesmiths im Lark Cottage.«
»Ach, mit denen habe ich aber über die Jahre kaum ein paar Worte gewechselt.«
»Für die Shoesmiths interessiere ich mich gar nicht. Sondern für das Winterhaus.«
»Ach? Darüber weiß ich gar nichts. Die Familie, der es gehört hat oder vielleicht immer noch gehört, die hatte so einen italienischen Namen -« »Deila Torre. Italiener. Das heißt, der Vater des gegenwärtigen Besitzers ist Italiener. Seine Frau war allerdings Engländerin. Ich bin aber nicht wegen der Deila Torres hier. Es geht darum, dass vor neun Monaten eine Frau verschwunden ist -«
»Verschwunden? Ah, darüber weiß ich aber nichts. Wieso? Was ist passiert?«
»Eine Frau namens Gault wurde in dieser Gegend zum letzten Mal gesehen. Das war vor etwa neun Monaten. Die Letzten, von denen wir wissen, dass sie sie gesehen haben, sind die Shoesmiths. Die Polizei war doch bestimmt da und hat Fragen gestellt -«
Sie richtete sich abrupt auf. »Bei mir war sie nicht. Ich weiß überhaupt nichts davon.«
So nachdrücklich beteuerte sie ihre Unwissenheit, dass Jury sich wunderte.
»Na, jedenfalls«, fuhr Brenda Hastings fort, »ist es schon lange her, seit das passiert ist, nicht?« Sie hob die Augenbrauen, als wunderte sie sich, weshalb Jury erst jetzt damit ankam.
»Es handelte sich vielleicht um eine Entführung, Mrs. Hastings, aber jegliche Information, die Sie vielleicht haben - Können Sie sich erinnern, damals jemanden gesehen zu haben? Sie hatte nämlich einen kleinen Jungen dabei und einen Hund.«
Sie schüttelte den Kopf, noch bevor er die Frage ganz ausgesprochen hatte. »Nein, habe ich nicht.« Mit diesen Worten gab sie ihm, ohne es recht angeschaut zu haben, das Foto zurück, das er hervorgezogen hatte.
Er nahm es und hörte, wie eine Tür geöffnet wurde und eine Stimme leise säuselte: »Mum-my!« Das Haar der Kleinen war beinahe genauso gelb wie das ihrer Mutter, nur leuchtender und heller. Das Kind drängte sich an ihre Seite und musterte Jury aus großen blauen Augen. Voller Genugtuung. Caroline war gerüscht wie die Vorhänge.
Selbst ihre Spielkleidung, die rosa Latzhose und das leuchtend rosa Blüschen, hatten Rüschen an Ärmeln und Hosenbeinen.
»Der Herr ist Polizeibeamter, Caroline, sei also hübsch artig.« Das Wort »artig« sprach sie fast tirilierend aus, worauf das Kind die Nase kraus zog und kicherte. Dann begann sie Jury kokette Blicke zuzuwerfen. Bei Kindern empfand er dies jedes Mal als äußerst unangenehm.
Als Erwiderung auf die Anordnung, nur hübsch artig zu sein, erkundigte sich Jury in freundlichem Ton: »Was machst du denn, wenn du unartig bist?«
Dies brachte Mutter und Tochter gleichermaßen aus dem Konzept. Brenda Hastings guckte argwöhnisch und Caroline ziemlich fies, als hätte Jury sie gerade voll auffliegen lassen. »Bin ich doch gar nicht!«
»Nein, natürlich nicht immer.«
Weil Caroline nicht wusste, wie sie das auffassen sollte, setzte sie wieder ihren koketten Blick auf.
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