Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor
Kellerkneipe, wo sich im Augenblick nichts regte als der Rauch von den Zigaretten und Zigarren der Gäste. Im hinteren Teil des langen, höhlenartigen Raumes hatte man etwas Platz für eine kleine Bühne mit Verstärkern, Schlagzeug, einigen Mikrofonen und einem Keyboard geschaffen. Blaue Lampen hingen von einem Kreuzbalken und erhellten die Bühne, doch die Band ließ sich nicht blicken.
Laufkundschaft würde es wohl nie in dieses Lokal verschlagen, also mußte es sich bei den Leuten - eigenartigen Wesen beiderlei Geschlechts, die in den verschiedensten Stadien der Langeweile herumlehnten und -hockten - um Stammgäste handeln. Frauen mit glatt zurückgekämmtem und anliegendem dunklem Haar, Männer mit hellen Locken und Ringen in den Ohren, die (jede Wette, dachte Jury) nichts zu bedeuten hatten. Sie drängten sich im Mittelgang; sie saßen an der Bar. In diesem architektonisch nichtssagenden Raum war nur die enorm lange Theke mit ihrer Kupferplatte ein Zugeständnis an die Wohlstandsgesellschaft; hinter ihr reihten sich auf den Borden meterweise Flaschen mit dem Etikett nach vorn. Der Rauch kräuselte sich hoch, schwebte und zerfloß, wölkte über den Tischen; die Bänke an der Wand links wirkten durch ihre strenge Aufstellung wie Kirchengestühl.
Die Gäste sahen alle aus, als gehörten sie hierher, weil sie sonst nirgendwo hingehörten. Jury fiel ein Café in Berlin ein, das auch so ausgesehen hatte - verstaubt und muffig - und in dem es nach schalem Zigarrenrauch und Bohnerwachs gerochen hatte.
Er hätte Stan Keeler auch ohne Morpeth Duckworths Beschreibung in dieser Räucherkammer, dieser Filmkulisse aus den dreißiger Jahren erkannt. Der Mann am Tisch in der Mitte hatte das gewisse Etwas; seine Ausstrahlung und sein Auftreten und die Leute an seinem Tisch sagten Jury, wer er war. Er trug ein einfaches schwarzes T-Shirt, Jeans, niedrige Stiefel, hatte die Füße auf einen Stuhl gelegt und lümmelte sich auf einem zweiten. An seinem Tisch saßen zwei Frauen und ein Mann. Eine der Heldenanbeterinnen hatte portweinfarbene Haare, in denen ihre Schultern fast ertranken; die andere war eine hermetisch verschlossene Blondine, die aussah, als hätte sie schon tagelang keinen Muskel mehr bewegt, als ob ihr Mund unter dem Make-up platzen und die Wangenknochen splittern könnten, wenn sie lächelte.
Als sich Jury dem Tisch näherte, sah er einen schwarzen Labrador, der mit der Schnauze auf den Pfoten zu schlafen schien. Der schwarze Gitarrenkasten, den man an ihn gelehnt hatte, störte ihn dabei anscheinend nicht, obwohl der Hals quer über seinem Rücken lag.
»Sie sind Stan Keeler?« sagte Jury, und schon schossen die Augen der Mädchen hoch. Der Rotschopf lächelte. Die Blondine kam damit nicht recht in Gang.
Stan Keeler blickte auf, und da wußte Jury, was mit einem brennenden Blick gemeint ist. Ein Glas Brandy, an das eben jemand eine Flamme hält, ja, das Bild schien auf sie zu passen. Augen wie diese straften die blasierte Miene unter dem schwarzen Lockenschopf Lügen; damit hätte er Jury glatt versengen können.
Stan Keeler sagte mit tonloser Stimme: »Ich bin zweiunddreißig und wohne in einer Einzimmerwohnung in Clapham. Das nervt. Black Orchid treten hier erst wieder in zwei Wochen auf. Ich bin in Chiswick geboren; meine Mum wohnt noch immer da. Mein Lieblingsgericht ist Aal in Aspik. Mit dem Fixen habe ich aufgehört, als ich vor drei Jahren von der Bühne gefallen bin. Meine Vermieterin hat eine Nase, an der man seine Unterwäsche aufhängen kann. Sie nervt. Der Grund, weshalb ich nicht ausziehe: London nervt sowieso. Ich rauche wenig, trinke wenig. Das ist alles. Drucken Sie das. Auf Wiedersehen.«
»Ich habe ja kaum guten Tag gesagt.«
»Guten Tag. Auf Wiedersehen. Verpiß dich zur Fleet Street. Du bist von New Dimensions, richtig?«
»Falsch. Ich bin von der Kripo.« Und Jury zeigte ihm seinen Dienstausweis.
Stan Keelers Miene veränderte sich nicht, als seine Augen über den Ausweis huschten und er Zigarettenasche in den Aschenbecher schnipste. Gleichzeitig nahm er die Stiefel vom Stuhl und bedeutet Jury, Platz zu nehmen. Dann sagte er zu der Rothaarigen und der Blondine: »Zieht Leine.«
Die beiden Mädchen standen synchron auf und ließen den leeren Blick über die Gäste hinweg bis zum hinteren Teil des Raumes schweifen. Der Gitarrist, der auf die Bühne gekommen war, stimmte anscheinend; ein fahler Jüngling mit langem, krausem Haar machte sich am Schlagzeug zu schaffen; ein hagerer
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