Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht
dieser Welt an ihnen vorbeiflaniert.
Trueblood, normalerweise extrem mäkelig, stopfte sich mit Nüssen voll. Er wirkte eigentlich nicht, als sei er gerade bei einem Autounfall dem Sensenmann entkommen.
Immer wenn er heruntergeschluckt hatte, überlegte er. »Herr im Himmel, alter Junge, wir müssen uns für eine Geschichte entscheiden. Ich favorisiere immer noch die, in der bei ihr eingebrochen wird - Vivian muß für mindestens eine Million Pfund Antiquitäten in ihrem Cottage haben.«
Melrose schüttelte den Kopf. »Das ist eine Kragenweite zu groß für uns, und wir müßten es nachts machen. Die Leute würden reden. Und überhaupt, angenommen, wir kriegen Vivian nach Hause, wie schaffen wir dann den Krempel auch wieder zurück?«
»Stimmt. Also, was spricht dann dagegen, daß Ruthven verrückt wird und in die geschlossene Anstalt muß? Vivian mochte Ruthven immer.«
»Sie würde ihr tiefes Bedauern aussprechen, aber ich bezweifle, daß sie deswegen die Hochzeit aufschieben würde. Es ist nicht dasselbe, als wenn Sie oder ich verrückt würden. Und wir können nicht noch mal so tun, als ob mit uns was wäre. Und Ruthven würde es sowieso nicht schaffen, selbst, wenn er wollte.«
»Wie wär’s, wenn wir ihr einredeten, Venedig sei ein gefährliches Pflaster?« Trueblood kaute noch eine Handvoll Nüsse, seine Augen leuchteten. »Erinnern Sie sich an die Geschichte mit dem verrückten Zwerg? Vielleicht können wir sie davon überzeugen, daß diese Kreatur noch auf freiem Fuß ist und durch die Gegend läuft und Leute ersticht.«
Melrose schüttelte den Kopf. »Nein, nein, nein, nein! Wenn das wirklich so wäre, stünde es in allen Zeitungen:
Killerzwerg macht Stadt unsicher. Das hätte sowieso von Jury kommen sollen-« Melrose hielt inne. »Ich hab’s!«
»Da kommt sie!«
Die Venezianische Vivian stand vor ihnen und sah wie immer, wenn sie unter italienischem Einfluß stand, phantastisch aus: wunderschön und furchtbar modisch in einem enganliegenden, sehr eigenwilligen Kleid mit winzigen Falten. Melrose allerdings mochte die soliden Wollröcke und Strickjacken, die sie zu Hause immer trug, lieber.
Sie umarmte beide, gab ihnen einen Kuß und setzte sich.
Und Trueblood setzte an: »Sie haben meinen Rat befolgt und den Utrillo gekauft! Die Perspektivik ist wunderbar.«
»Nein, ich habe meinen eigenen Rat befolgt und ein Dickens and Jones-Kleid gekauft. Im Ausverkauf.«
Ein Ausdruck der Abscheu zog über Marshall Truebloods Gesicht.
»Sie sind beide blaß. Marshall hat fast überhaupt keine Farbe.« Sie runzelte die Stirn.
»Es geht uns aber viel besser, wirklich«, sagte Melrose.
»Viel besser.«
»Sie sehen auch aus, als hätten Sie ein schlechtes Gewissen« Vivian lehnte sich über den Tisch und nahm sie ins Visier.
»Wir wollen erst mal einen Drink für Sie bestellen, Vivviv.« Er erwischte den Kellner, bevor dieser die ältere Dame bedienen konnte.
»Wenn Sie den weiten Weg auf sich genommen haben, nur um mich zu sehen, schmeichelt mir das wirklich ungemein. Die Hochzeit wurde noch mal um zwei Wochen verschoben. Einen Gin mit Orangensaft, bitte«, sagte sie zu dem wartenden Kellner.
»Hm, früher oder später müssen Sie es ja erfahren«, sagte Melrose, »es betrifft Richard Jury.« Pause. »Er wird heiraten.«
Trueblood stopfte sich noch ein paar Nüsse in den Mund und nickte eifrig mit dem Kopf.
»Richard?« Vivian riß die Augen auf und sah so schockiert aus, als habe der Killerzwerg sie gerade hinterrücks erwischt. Sie machte mindestens dreimal den Mund auf und zu, bevor sie ein ersticktes »Wen?« über die Lippen brachte.
»Sie heißt ... Ich weiß es nicht mehr. Sie?«
Trueblood tat so, als versuche er, sich zu erinnern, und zuckte mit den Schultern. »Sie kennen sie nicht.«
»Hm, haben Sie sie denn kennengelernt?«.
»Oh, ja«, sagte Melrose in Richtung Trueblood.
»Sieht gut aus, finden Sie nicht?« Trueblood nahm noch eine Handvoll Nüsse.
Vivian sah den Drink, den der Kellner ihr vorgesetzt hatte, an, als handelte es sich um einen Schierlingsbecher. »Er hätte es mir erzählen können«, sagte sie weinerlich.
Melrose stellte ihre Trauer auf die Probe und sagte: »Er möchte, daß Sie kommen.«
Überrascht sah sie auf. »Und wann soll diese Hochzeit stattfinden?«
»In einer Woche«, sagte Trueblood.
»In zwei Wochen«, sagte gleichzeitig Melrose.
Trueblood korrigierte sich schnell: »Ach ja. In zwei Wochen.«
»Aber da wollten doch Franco und ich -«
»Na, Franco
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