Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht
würde es doch nichts ausmachen, noch ein kleines bißchen länger zu warten. All die langen Jahre ist er so geduldig gewesen. Muß ja ein äußerst verständnisvoller Bursche sein.« Melrose grinste.
Vivian fragte verdrießlich: »Wie sieht denn die Superfrau aus?«
»Kastanienbraunes Haar, haselnußbraune Augen und ein ovales Gesicht.« Um Gottes willen, er hatte gerade Vivian beschrieben.
»Wie hat er sie kennengelernt?«
Melrose dachte nach. »Bei mir, auf einer Party.«
»Sie geben doch nie Parties.« Wenn Blicke töten könnten! Verräter , sagten ihre Augen. »Und was macht sie?«
Während Vivian tiefer in ihren Stuhl sank, sagte Marshall Trueblood: »Sie ist Schriftstellerin.«
»Schriftstellerin? «
»Na jaa ... sie schreibt so was ähnliches wie biographische Romane, wenn ich mich recht erinnere.«
Melrose sah Marshall Trueblood argwöhnisch an. Vielleicht war seine Beschreibung doch etwas zu genau. Bei der Haarfarbe eines Menschen konnte man sich schon mal irren. Aber wohl kaum ein Buch fabrizieren.
Ob dieser Neuigkeiten fiel Vivian noch mehr in sich zusammen. Plötzlich nahm sie ihren Gin, trank das halbe Glas auf einmal und knallte es auf den Tisch; die Nüsse sprangen hoch. »Und berühmt ist sie vermutlich auch noch?«
Trueblood hatte gerade Luft geholt, um die Geschichte weiter auszuschmücken, aber Melrose sagte: »Nein, überhaupt nicht. Sie haben bestimmt noch nie von ihr gehört. Eigentlich weiß ich gar nicht so genau, ob sie überhaupt noch schreibt, oder wie war das?« Unter dem Tisch stieß er Trueblood mit dem Fuß an.
»Sicher nicht mehr.« Trueblood kicherte. »Wahrscheinlich war sie als Autorin eh nur eine Eintagsfliege. Vielleicht lebt sie jetzt sogar von Sozialhilfe.«
»Da hat er ja das große Los gezogen«, sagte Vivian. »Attraktiv, klug und belesen. Und sie braucht Hilfe. Die perfekte Frau für Richard Jury.« Ihr Ton schwankte zwischen Sarkasmus und Verzweiflung.
Trueblood konnte es nicht lassen: »Sie mag Rimbaud. Oder war es Verlaine?«
Melrose warf ihm einen bösen Blick zu, und Vivian setzte sich wieder kerzengerade hin. »Perfekt. Wenn sie nicht zu Hause sitzt und Socken stopft, kann sie Sie besuchen und mit Ihnen über französische Literatur sprechen. Holen Sie uns noch was zu trinken!«
Trueblood humpelte zum Tresen.
»Sehen Sie, er zieht immer noch das linke Bein nach.« Aber Vivian schien es einerlei zu sein, von ihr aus hätte er am Knie amputiert sein können.
Sie sagte nichts, bis Trueblood ihr den Drink brachte und (da er Zeit gehabt hatte, die Geschichte auszuspinnen) sagte: »Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, Vivian, ob diese Frau wirklich >das große Los< ist, wie Sie vermuten, hm, das wissen wir nicht so recht.«
»Na und?« fauchte Vivian. »Sie heiraten sie ja auch nicht.«
»Wir haben ihm gegenüber sogar leise angedeutet, daß sie eigentlich nicht die Richtige für ihn ist.« Trueblood wich Melroses Blick aus.
»Sie haben aber gerade von vorne bis hinten die Richtige beschrieben .«
Marshall Trueblood entnahm seinem Zigarettenetui eine rosa Sobranie, zündete sie an und lehnte sich zurück. Melrose trat ihm auf den Fuß. »Es bleibt doch alles unter uns, oder, Viv? Wir beide würden sonst ziemlich im Schlamassel stecken.« Er legte Melrose die Hand auf den Arm.
Was zum Teufel hatte er denn jetzt vor? Ganz so naiv war Vivian auch wieder nicht. Andererseits, wenn es um Richard Jury ging, konnte man ihr das Blaue vom Himmel herunterlügen. Jedenfalls nötigte Trueblood ihnen das Versprechen ab, es nicht weiterzuerzählen ... was weiterzuerzählen? Jetzt war Melrose genauso gespannt wie Vivian.
»Die lieben Kleinen .... « Sowohl Vivian als auch Melrose hingen an Truebloods Lippen.
»Eine Frau mit drei - oder sind es vier? - Kindern zu heiraten, davon zwei noch im Kindergarten - scheint doch sehr unvernünftig zu sein. Und der halbwüchsige Sohn ...« Trueblood musterte die Schale mit den Nüssen. »Hat einen Zeitungsladen überfallen, ist beinahe im Knast gelandet.«
Vivian wurde puterrot und dann kreidebleich. »Ist Jury verrückt? Verbringt sein Leben damit, Verbrechen zu bekämpfen, und jetzt will er die Mutter eines Kriminellen heiraten?«
»Wir haben versucht, ihn davon abzubringen, aber . « Ein kurzes niedergeschlagenes Schulterzucken verriet, daß Trueblood auch am Ende seines Lateins war.
Melrose trat ihm vors Schienbein. Großer Gott, nach den ganzen Geschichten, die sie über die Familie Giappino erfunden hatten, wie konnte sie
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