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Grimes, Martha - Mordserfolg

Grimes, Martha - Mordserfolg

Titel: Grimes, Martha - Mordserfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Alle wirkten gleichermaßen ernst, als könnte man nur mit einem finsteren Blick die Arbeit erledigt bekommen.
    Zur anderen Seite des Fensters jedoch hingen zwei kleine ovale Rahmen aus kräftigem, leicht biegsamem Holz. Auf beiden, einem bräunlichen Fotoabzug sowie einer Kohlezeichnung, war dieselbe Frau dargestellt: Sauls Großmutter. Sie war von fast betörender Schönheit, und man fragte sich, wie um alles in der Welt sie es mit den nüchternen Mannsbildern in diesem entbehrungsreichen Haushalt ausgehalten hatte. Obwohl keines der beiden Bilder in Farbe war, erkannte sie Ned anhand von Sauls Beschreibung: das rötlich goldene Haar, die Augen dunkelblau wie Lapislazuli.
    Sauls Großvater und Urgroßvater waren Männer von so grimmigem Aussehen, dass sie wie die Verkörperung sämtlicher vorstellbarer Moralpredigten über Sparsamkeit und die heilsamen Kräfte des arbeitsamen Lebens schienen. Sie wären vermutlich außer sich vor Entrüstung, wenn sie noch mitbekommen hätten, dass ihr Dasein in diesen opulenten vergoldeten Rahmen endete und sie dabei auf ihren Nachkömmling herunterblicken mussten, der bloß herumsaß und schriftstellerte.
    Es waren kraftvolle Gemälde, auf denen der Künstler seinen Modellen die Seele aus dem Leib gesogen und sie ihnen auf der Leinwand wieder verliehen zu haben schien – so lebendig wirkten sie.
    »Schau nicht zu lang hin, sonst verbrennt er dir die Hornhaut«, sagte Saul, während er das Wohnzimmer mit einem Kaffeeservice auf einem schweren Silbertablett durchquerte. Er schenkte ihnen Kaffee in hauchdünne, fast durchsichtige Tässchen ein. Eines reichte er Ned, dann nahm er seine Zigarre aus einem schweren gläsernen Aschenbecher, den die plötzlich hereinfallende Sonne in ein Gebilde aus wirbelndem Blau verwandelte. Saul musste die inzwischen erloschene Zigarre noch einmal anzünden.
    Beide blieben stehen und betrachteten das abweisende Trio an der Wand. Saul meinte: »Paradox daran ist natürlich, dass ich ein viel asketischeres und sittenstrengeres Leben führe als alles, was die sich je hätten ausdenken können, viel strenger als ihr eigenes Leben gewesen war. Ich tue ja nichts. Ihre Geister schweben wahrscheinlich umher und beobachten mich bei dem aufregenden Akt, einen Stift in der Hand zu halten. Mein Großvater war ein notorischer Schürzenjäger, und der alte Noah dort«– er wies mit dem Kinn auf ein Porträt neben der kleinen Schreibkommode –»war der Spielsucht und dem Trunk verfallen. Wie langweilig muss ich dagegen erscheinen! Nein, die fänden mich bestimmt unerträglich. Zu öde, ein langweiliges Leben, nur Lesen und Schreiben und sonst gar nichts. Sie mussten immer etwas zu tun haben, und meistens ging es dabei ums Geldverdienen. Wahrscheinlich auch noch in ihrer Freizeit, wenn sie nicht gerade durchs Hintertürchen der jeweiligen Angebeteten schlüpften. Wie zum Teufel kann ich von solchen Leuten abstammen? Vielleicht bin ich ein Wechselbalg? Noch Kaffee?« Saul hob die silberne Kaffeekanne hoch.
    Ned hielt ihm seine Tasse hin. »Das war deine väterliche Seite, aber was ist mit deiner Mutter?«
    »Ich weiß nur noch, dass meine Mutter eine sehr zurückhaltende Frau war, schweigsam, aber nie im Stillstand, immer in Bewegung, wie ein flüchtiger Schatten. Mich selbst habe ich aber immer regungslos in Erinnerung. Der Sitzplatz in der Fensternische dort drüben – dort habe ich meine Kindheit zugebracht, mit Lesen. Siehst du die Goldkordel, die den Vorhang zusammenhält? Ich erinnere mich, wie ich daran zog oder die Fäden auseinander pfriemelte, während ich dort saß. Wundert mich ja, dass sie noch ganz ist. Mein ständiges Lesen machte sie alle ganz verrückt. Ich glaube nicht, dass sie jemals ein Buch von vorne bis hinten gelesen haben, trotz der Bibliothek dort hinten.« Er deutete mit dem Kinn zu dem Zimmer hinter sich. »Gelesen habe ich wie wild. Komisch, aber ich glaube, das war meine Art von Rebellion, an Stelle von Haschisch oder schnellen Autos oder Bumsen. Lesen. Von dort war es dann wohl nur noch ein kleiner Schritt zum Schreiben. Meine Vergangenheit kommt mir vor wie eine Reihe von flimmernden Bildern, wie ein alter Stummfilm.« Saul lachte. »Ich habe nie was gemacht, außer im Kopf. Was die wohl dazu sagen würden?« Er schenkte sich noch eine Tasse Kaffee ein und setzte sich auf das moosbraune Sofa.
    Daraufhin ließ sich Ned in dem ledernen Ohrensessel nieder, seinen Lieblingssessel, weil er an einer Stelle stand, von der aus man die

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