Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grimes, Martha - Mordserfolg

Grimes, Martha - Mordserfolg

Titel: Grimes, Martha - Mordserfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
Musikautomat getrottet, um es noch einmal spielen zu lassen.
     

 
10
     
    An jenem Morgen saß Ned im kleinen Park auf der grünen Bank, von der die Farbe abblätterte, immer derselben, und beobachtete die Leute auf dem Weg zur Arbeit in anderen Stadtteilen, wie sie die U-Bahntreppen hinunterhasteten, sich beeilten, um noch den Bus zu erreichen, an Zeitungskiosken stehen blieben, Taxis herbeiwinkten und in Feinkostgeschäfte und Törtchenbäckereien hinein und mit Pappbechern, Tüten und Kartons beladen wieder heraus rannten. Das alles zu beobachten bereitete ihm Vergnügen. All die Vorbereitungen auf etwas anderes als auf die Arbeit, etwas zwischen Schreibtisch und Arbeit, etwas Füllendes – Zeitung lesen, ein Donut verspeisen. Es musste ja etwas geben, was die Menschen aus den geheimnisschweren Gefilden des Schlafes trieb, aus der Hetzerei von Duschen, Rasieren, Ankleiden zum grellen, elliptischen Licht über dem Schreibtisch. Etwas, das den harten Aufprall auf der Arbeit abfederte.
    Besonders an einem Montag, und ganz besonders an einem, der drückend und schwer zu werden versprach, der Himmel kalt und grau. Er war zufrieden, hier ganz für sich alleine zu sitzen und dies alles zu betrachten. Er fühlte sich vom Glück begünstigt, nicht dazuzugehören. Und doch verstand er, wie nötig dieser Puffer zwischen dem Aufwachen und dem Eintauchen in die Arbeit war. Er hatte seine eigene Tasse Kaffee dabei, die neben ihm auf der Bank abkühlte, und schon das Beobachten all dieser frühmorgendlichen Hast diente als eine Art Abschirmung zwischen sich und seinem Schreiben.
    Ned nahm den Manuskriptauszug zur Hand, den er sich mitgebracht hatte, zog einen Bleistift hervor und klickte die Mine zurecht. Dieses Klicken von Bleistift oder Kugelschreiber mochte er. Es hörte sich so gehorsam an, verschaffte ihm das Gefühl, Herr der Lage zu sein.
    Was er natürlich nicht war, denn mehr als das Klicken kam nicht.
    Statt Paris und Nathalies Dilemma ging ihm Pittsburgh im Kopf herum. Ned war in Pittsburgh geboren. Dass er so wenige Erinnerungen daran hatte, quälte ihn. Wie kann ein Mensch siebzehn Jahre an einem Ort leben und sich nicht daran erinnern?
    Nachdem er eine halbe Stunde über Pittsburgh nachgedacht statt sein Manuskript durchgesehen hatte, beschloss er, Saul einen Besuch abzustatten.
    Saul kam in (kalbsledernen) Hausschlappen und (Kaschmir-) Strickjacke, eine (kubanische) Zigarre schmauchend an die Tür. Egal, zu welcher Tageszeit ihn Ned besuchte – Saul sah immer aus, als hätte er sich fein gemacht, als sei er auf dem Weg in irgendeinen teuren, exklusiven Klub, von dem niemand etwas wusste. Ein Herrenklub vermutlich. Ned wusste aber, dass Saul damit keinen Eindruck schinden wollte, er war einfach so erzogen.
    »Wie wär’s mit einem Kaffee?«, meinte Saul. »Geh schon mal ins Wohnzimmer rüber, ich bringe ihn dann.«
    Sein Urgroßvater war reich gewesen, sein Großvater hatte die Familie noch reicher gemacht. Und sein Vater hatte das Geld umgeschichtet und war zum Allerreichsten geworden. Ned hatte keine Ahnung, wie viel Geld Saul hatte, es war aber bestimmt eine ganze Menge. Anwälte, Buchhalter und Anlageberater verwalteten das Ganze. Ned bezweifelte, dass Saul überhaupt wusste, wie reich er war. Jedenfalls war der ganze Unternehmerzauber mit Saul zu Ende gegangen. Er selbst bezeichnete sich als dessen Ende – the end of it . So oft erwähnte er den Ausdruck, dass er ihn schließlich als Titel für sein Buch verwendet hatte.
    Ned hatte sich noch nicht gesetzt. Er streifte hier gern umher und sah sich alles genau an. Das Haus war wirklich schön, diese Räume mit den moosbraunen Samtstoffen und den ausgewaschenen Seidenbezügen, über die er mit Vorliebe strich. Alles atmete Geschichte – Ned konnte sie anfassen und schmecken, wie die glatten, reifen Früchte in der Porzellanschale auf der Kommode mit der Marmorplatte. Er stand in Betrachtung der Porträts versunken, die über dem Kamin und rechts von der kleinen Schreibkommode aus Mahagoni hingen, an der Saul manchmal saß und schrieb, denn er mochte diesen Platz neben einem der hohen Fenster, die zu Straße hinausgingen und an denen dünne Vorhänge im Sommerwind flatterten. Weil er dort sitzen und hinausschauen konnte, sagte er.
    Die Porträts stellten seinen Großvater und seinen Urgroßvater dar. Ein drittes zeigte seinen Vater, dessen Lächeln auf dem zwischen den Fenstern aufgehängten Bild besonders frostig war, der bloße Anflug eines Lächelns.

Weitere Kostenlose Bücher