Grimm 1: Der eisige Hauch (German Edition)
„Die Welt der
Wesen
. Und in dieser Welt muss man sich sehr, sehr vorsichtig bewegen.“ Dann deutete er mit dem Stift auf Hank als wäre er ein Zauberer und der Stift sein Zauberstab. „Oder man fällt in eine Wolfsgrube, Detective Griffin, aus der man lebendig nicht mehr rauskommt.“
K APITEL A CHT
„Nick? Können wir gleich essen gehen?“, fragte Juliette. „Ich möchte was mit dir bereden …“
„Klar“, antwortete er, während er die Leichenhalle verließ und sich das Handy ans Ohr presste. Es kam ihm komisch vor, von seiner Freundin um so ein Gespräch gebeten zu werden, nachdem er gerade erst gesehen hatte, wie ein Herz neben der Leiche, aus der es gerissen worden war, auf dem Tisch lag. Er hatte sich die Leichen und Leichenteile angesehen, die auf dem Feld in der Nähe von Canby gefunden worden waren. Vielleicht hatten sie einigen das Herz herausgerissen, weil die Gang
Sombra Corazón
, Schattenherz genannt wurde. Der Eisige Hauch verspottete die Gang, die er verdrängen wollte.
„Nick? Bist du noch da?“
„Ja. Entschuldige, Juliette. Ich komme gerade aus dem Leichenschauhaus und bin ein wenig abgelenkt.“
„Du kommst aus dem Leichenschauhaus? Dann ist das wohl nicht die beste Zeit, um Essen zu gehen.“
„Hey, das ist mein Job. Wenn ich mir von so was den Appetit verderben lassen würde, dann könnte ich nie was essen. Treffen wir uns in Jake’s Deli …“
Er hatte das Gefühl, nicht ganz da zu sein, als er durch die Tür ging. Obwohl er versuchte, sich auf das Treffen mit Juliette zu konzentrieren, gingen seine Gedanken doch immer wieder zum Eisigen Hauch zurück …
La Caresse Glacée
. An diesem Morgen hatten sie das große Containerschiff durchsucht, die
La Conquete
. Noch so ein beunruhigender französischer Name, der übersetzt „die Eroberung“ bedeutete. Ziemlich unheimlich, das Ganze. Es gehörte einem französisch-deutschen Schifffahrtsunternehmen. Sie hatten auf dem Schiff nichts gefunden, was sich mit Scopolamin in Verbindung bringen ließe, und auch sonst nichts Illegales. Die Schiffscontainer schienen nur Toshiba-Fernseher und Ramen-Nudeln zu enthalten. Auch die Papiere waren in Ordnung.
Sie hatten nur die Aussage des verstorbenen Smitty, dass auf dem Schiff die Geistkontrolldroge geschmuggelt worden war. Der
Drang-Zorn
hatte behauptet, nichts über das Schiff und den Schmuggel zu wissen.
„Nick!“
Er sah sich um und entdeckte Juliette am Fenstertisch zu seiner Rechten. Sie sah wunderschön aus. Ihr langes, rotbraunes Haar glänzte, und ihre haselnussbraunen Augen wirken ernst, aber lebensfroh. Sie lächelte ihn unsicher an. Hinreißend, wie immer. Selbst im Krankenhaus mit aufgerissenen Lippen und ungekämmten Haaren, als sie sich von ihrem Gedächtnisverlust durch diesen Trank erholte, hatte sie hinreißend ausgesehen. Heute trug sie ein smaragdfarbenes Kleid, das tief, aber nicht zu tief ausgeschnitten war, und eine Goldkette mit einer Katze, die er ihr einmal geschenkt hatte, nachdem ihr die Operation der Bürokatze geglückt war. Sie hatte dem Tier das Leben gerettet, ebenso wie vielen anderen. Er war jedes Mal aufs Neue berührt von der Zärtlichkeit, mit der sie mit diesen Tieren umging, und wünschte sich oft, ihr bei der Arbeit als Tierärztin zusehen zu können. Gerade heute wünschte er sich, kein Detective und erst recht kein Grimm zu sein.
Aber das lässt sich nun mal nicht ändern
…
Er setzte sich ihr gegenüber und war aus einem unerklärlichen Grund fast so nervös wie bei ihrem ersten Treffen. Vielleicht lag das an dieser Mischung aus Zuneigung und Unsicherheit in ihrem Blick …
„Hast du schon bestellt?“, fragte er.
„Nein. Hier hast du die Speisekarte.“
Er schlug die Speisekarte auf. „Was machen deine felligen Patienten?“
„Wir hatten heute einen schuppigen. Eine Boa Constrictor zur Routineuntersuchung. Ich musste ihre Vitalzeichen überprüfen.“
„Magst du Schlangen?“
Sie lächelte traurig. „Du kennst mich und weißt, dass ich so ziemlich alle Tiere mag.“
„Aber du hast kein Haustier. Ich hatte überlegt, dir einen Hund zu schenken.“
„Ich bin zu selten zu Hause und hätte nicht genug Zeit für ein Haustier …“ Sie schüttelte den Kopf. „Und wir haben zwei Tiere im Büro. Du weißt schon, die Katze, die vor drei Jahren keiner mehr abgeholt hat, und den kleinen Yorkie meiner Assistentin. Die beiden leisten einander Gesellschaft. Der Yorkie sitzt immer auf meinem Schoß, wenn ich die Laborberichte lese.
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