Grimm 1: Der eisige Hauch (German Edition)
alle
Wesen
müssten vernichtet werden. Kessler teilte diese Meinung nicht. Aber Scheller glaubte, dass alle
Wesen
vom Teufel besessen wären, und er war nicht bereit, von dieser altmodischen Sichtweise abzulassen.
„Da sind sie ja“, flüsterte Berg endlich und nahm einen Briefumschlag aus dem Safe. Er öffnete ihn und sah hinein, um dann mit zitternder Stimme zu sagen: „Ja, das sind sie.“
Er wollte in den Umschlag greifen, aber Kessler hielt ihn zurück.
„Fassen Sie sie nicht an.“
Berg starrte Kessler an. „Die Münzen wirken bei Grimms nicht.“
„Wir sind uns nicht sicher, ob dem wirklich so ist. Die Münzen sind gefährlich.“ Kessler nahm Berg den Umschlag ab und verschloss ihn wieder.
Berg runzelte die Stirn. „Sie sind gefährlich für Menschen – und
Wesen
. Aber nicht für uns.“
„Die Münzen sind auf andere Art gefährlich“, entgegnete Kessler. „Für die ganze Menschheit.“ Er schloss den Safe und nahm den Hut ab, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. „Wenn es nach mir ginge, würden sie eingeschmolzen und zerstört.“
Bergs Miene wurde noch finsterer. „Das könnte ebenfalls gefährlich sein. Wer weiß, was geschieht, wenn man das wirklich versuchen würde?“
Kessler setzte den Hut wieder auf.
„Sie könnten in Blei gegossen und im tiefsten Meeresgraben versenkt werden. Aber man sollte sie nicht an einem Ort aufbewahren, an dem sie einem Menschen in die Hände fallen könnten. Napoleon hat sie missbraucht.“ Er faltete den Umschlag so klein zusammen, wie es nur ging, und steckte ihn in die Innentasche seines Mantels. „Wenn sie Hitler in die Hände fallen sollten …“
„Sie wurden von
Wesen
benutzt – daher brauchen wir sie für Grimmstudien“, erwiderte Berg steif. „Herr Kessler, ich denke, Sie sollten mir die Münzen geben. Ich bin jünger als Sie. Und stärker. Falls wir weglaufen müssen …“
„Machen Sie sich nicht lächerlich“, entrüstete sich Kessler. „Sie sind nicht stärker als ich.“
Die beiden Männer verließen das Büro, schlossen die Tür wieder ab und gingen durch den Flur zur Hintertür. Draußen blieben sie stehen und sahen sich um. Es hatte aufgehört zu schneien, und die Nachmittagssonne, die durch die aufgebrochene Wolkendecke schien, ließ sie blinzeln. Auf den Straßen lag feuchter Schneematsch. Ein Lieferwagen fuhr vorbei und schlitterte ein wenig über die glitschige Straße, bevor der Fahrer die Kontrolle über den Wagen wiedererlangte.
Hinter der Kirche befand sich ein Garten, der nun größtenteils mit Schnee bedeckt war. Hier und da brachen einige braune, verwelkte Pflanzen durch die Schneedecke. Kessler, der sich hier ungeschützt fühlte, hastete über den schneebedeckten Weg zur Straße, an der sein silberner Wagen parkte.
„Hoffentlich kann ich mir eines Tages auch ein Automobil kaufen“, meinte Berg wehmütig. „Aber ich bin ein armer Rechtsanwalt, der Klienten annimmt, die er nicht annehmen sollte. Sie als Professor müssen jedoch ein gutes Auskommen haben, wenn Sie sich so einen Wagen leisten können.“
„Ich bin kein Professor mehr“, erwiderte Kessler. „Achtzehn Jahre reichen. Als ich das Anwesen meines Vaters geerbt habe, bin ich in den Ruhestand gegangen. Ich schreibe und forsche für … unsere Sache. Das ist jetzt mein Leben.“
„Ah. Das Anwesen Ihres Vaters.“ Berg versuchte nicht einmal, seinen Neid zu verbergen. Er sah aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen. „Mein Vater hat Selbstmord begangen, als er sein Geschäft verloren hat. Er hat mir nichts hinterlassen. Ich bin ein armer Mann.“
Kessler erinnerte sich daran, dass ihm Scheller erzählt hatte, Berg wäre ein Spieler. Vermutlich war das eher der Grund für seinen Geldmangel.
Er schloss den Wagen auf und stieg ein. Kessler war so nervös, dass er den Motor schon angelassen hatte, bevor Berg überhaupt auf dem Beifahrersitz saß.
Die Reifen drehten einige Sekunden lang durch, doch dann reihte sich die tiefliegende Limousine zwischen den anderen Autos auf der mit Schneematsch bedeckten Straße ein. Kessler fuhr an Reihenhäusern und einer Trinkhalle vorbei, vor der ein Taxi parkte, um bog dann links um eine Kurve.
Ein Stück weiter die Straße entlang hatten drei Männer in langen, grauen Gestapouniformen neben einem großen schwarzen Wagen, der halb die Straße blockierte, einen Kontrollpunkt errichtet. Hinter ihnen stand ein SS-Soldat mit einem Gewehr in der Hand. Die Gestapo überprüfte gerade die Papiere des
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