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Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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hatte.
    »Inmitten der Flammen, die von der letzten Seite des Buches aufstiegen, erkannte das Mädchen das Antlitz der alten Frau.«
    Vesper musste versonnen lächeln. Amalia hatte es immer geschafft, auch das traurigste Märchen mit einem lebensbejahenden Ende zu versehen.
    »Und weißt du, was dann passiert ist?«
    Gütig lächelte die Großmutter ihrer Enkelin zu, umwob das Mädchen mit Worten so voller Wärme, dass sogar die Kälte der Winternacht ganz zu schwinden schien .
    »Tja, und so schlief das Mädchen ein und begann zu träumen.«
    Es träumte von einer Frau, die am letzten Tag des Jahres nachts im Pfandhaus eine alte Taschenuhr versetzte. Die Taschenuhr hatte die Frau einst von ihrer Mutter zum Geschenk erhalten. Ein Familienerbstück, genau das war die Taschenuhr, sie war so eng verknüpft mit allen Geschichten und Erinnerungen, dass niemand ihren wahren Wert je würde ermessen können.
    »Wie schwer der Frau das Herz wohl sein musste, dachte das Mädchen schlafend.«
    In seinem Traum verließ die Frau das schäbige Pfandhaus, und in den Eiskristallen auf dem schmutzigen Ladenfenster wurde sie im schwachen Licht des Mondes mit einem Mal des Gesichts ihrer eigenen Mutter gewahr. Gütig lächelte die alte Frau ihrer Tochter zu, umwob sie mit Worten so voller Wärme, dass sogar die Scham der Tochter darüber, einst vor lauter Angst und Not abends nach
der harten Arbeit in der Fabrik anderswo ihr Glück gesucht und ihre eigene kleine Tochter im Stich gelassen zu haben, allmählich zu schwinden schien.
    Und mit einem Mal verstand das Mädchen, dass es gerade von seiner Mutter träumte, die damals nicht wieder nach Hause zurückgekehrt war. Dass sie beide in dieser Silvesternacht einen Teil ihres Herzens fortgegeben hatten. Dass die alte Frau, die das Mädchen so geliebt hatte, zu Tochter und Enkelin auf die Weise sprach, weil sie ihnen nur so den Weg zu weisen vermochte.
    »Als das Mädchen die Augen öffnete, läuteten die Glocken der Kirchtürme zur Mitternacht.«
    Schneeflocken wirbelten durch die Gasse, und inmitten des Gestöbers stand des Mädchens Mutter und weinte vor Glück.
    »Ich hoffe, du hast wenigstens schöne Träume«, flüsterte Vesper und gab der kleinen Greta einen Kuss auf die Stirn. Dann zog sie die Decke noch ein wenig höher und schmiegte sie um ihre kindliche Gestalt.
    Sie legte sich ruhig neben die Kleine und lauschte ihrem Atem.
    Draußen fiel Schnee, immer mehr, und am liebsten wäre Vesper gar nicht mehr aufgestanden. Ja, sie würde hierbleiben, und alles könnte doch noch gut werden.
    Sie seufzte.
    Wie war das, als sie noch ein kleines Mädchen war? Ihre Schwester und sie hatten jahrelang in einem Zimmer geschlafen, ja, sogar in einem Bett. Dann war Amalia umgezogen in den ersten Stock des großen Hauses mit den vielen Zimmern, dem tiefen Keller und den hohen Treppenhäusern, und Vesper war fast jede Nacht mit ihrem
Bettzeug durch das Haus gewandert und zu ihr ins Bett gekrochen.
    Dort hatte sie ihr dann die Geschichten erzählt, im Dunkeln. Und Vesper war ruhig eingeschlafen. Denn sie hatte gewusst, dass da jemand war, der über sie wachte.
    Sie dachte an den Regen, den man auf die Fensterläden hatte prasseln hören, und die Geräusche, die große Häuser des Nachts zu machen pflegen. An die Hände ihrer Schwester, die ihr Zöpfe mit Bändern darin geflochten hatte, wenn am Morgen niemand sonst Zeit für sie gehabt hatte.
    Mit diesen Bildern von einst im Herzen schlief Vesper ein. Sie schlief nicht tief, und als nur wenig später unten auf der Straße ein Wagen vorfuhr, da hörte sie ihn bereits, bevor er angehalten hatte.
    Kurz darauf klingelte ihr Telefon.
    Andersen und Leander warteten unten im Wagen. Sie solle sich bitte auf den Weg machen. Es gebe Neuigkeiten.
    Müde erhob sie sich, ging zu Ida, weckte sie sanft.
    »Ich muss jetzt los.«
    Ida öffnete verschlafen die Augen. Dunkle Ränder hatten sich dort gebildet, wo normalerweise kleine Lachfältchen waren. »Du willst das wirklich tun?«
    »Ja.«
    »Findest du nicht, dass es total unvernünftig ist, sich in dieses Abenteuer zu stürzen?«
    »Doch, ganz klar.« Aufgrund dieser merkwürdigen Hinweise in den Harz zu fahren, das war wirklich alles andere als vernünftig.

    Ida setzte sich, stand auf, ergriff Vespers Hand. »Pass auf dich auf, versprich es mir.«
    »Tu ich.«
    Sie gingen durch den Korridor, in dem Klamotten und ein Schulranzen lagen.
    »Mach nichts Dummes, hörst du?!«
    Sie nickte. »Sie warten

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