Grimm - Roman
exklusiv erstandene Antiquitäten mit schillernder Vergangenheit, erzeugten die sterile Eleganz einer Theaterbühne, die, verborgen hinter einem roten Samtvorhang, ihrer alten Eleganz nachtrauerte.
Nein, nichts hier in diesem Haus sah wirklich bewohnt aus, aber so war es schon immer gewesen.
All diese Gedanken, die ihr die Seele fluteten; all die dumpfe Furcht, die verschwunden war - und dann erst
bemerkte Vesper die Silhouette der Frau. Sie stand am Fenster und blickte nach draußen. Sie trug schwarze Schuhe mit hohen Absätzen und eine dunkle Weste, dazu einen Schal, grau und ohne Muster. Ihre hohe Gestalt warf einen langen Schatten, der Vesper fast schon berührte.
Etwas war anders.
Mädchen, weich vom Wege nicht.
»Mama?« Ihre eigene Stimme klang brüchig und erschöpft … und unsicher. Sie klang wie das Mädchen, das sie einmal gewesen war.
»Ich habe es heute Morgen erfahren«, sagte ihre Mutter. Mit einer Bewegung, die wie einstudiert wirkte, deutete sie zum Flügel hinüber. Dort lagen Notenblätter und das Abendblatt . Die kleine Vase mit den Blumenornamenten war umgestürzt, und die beiden Orchideen bedeckten die Schlagzeile und das dazugehörige Bild. Die Pfütze hatte die aufgefaltete Zeitung an den Rändern aufgeweicht.
Etwas an ihr ist falsch.
Nicht richtig.
Es war nur ein Gefühl, aber es machte Vesper Angst.
»Ich habe ihn einmal geliebt«, sagte sie.
»Ja, ich weiß.« Etwas Besseres fiel Vesper nicht ein.
Jetzt erst drehte sich Margo Gold zu ihrer Tochter um. Sie trug eine schwarze Sonnenbrille, edel, extravagant und so dunkel, dass man nichts dahinter erkennen konnte. Unpassend in diesem schattigen Raum, aber Margo Gold war niemals in ihrem Leben nicht exzentrisch gewesen.
Was, in aller Welt, war mit ihr passiert? Erst vor einem Tag hatten sie sich im Korridor der Schule voneinander getrennt, doch hatte Vesper das Gefühl, eine vollkommen andere Frau vor sich zu haben.
»Vesper«, sagte sie, als sie ihre Tochter ansah. »Du siehst nicht gut aus.«
»Papa ist tot.« Jetzt hatte sie es ausgesprochen.
»Ja.« Nur dieses eine Wort, sonst nichts. Margo ging zu der Bar in dem Biedermeierschrank und schenkte sich einen Cognac ein. »Möchtest du auch einen?«
Vesper stutzte. »Du bietest mir Alkohol an?«
»Du bist alt genug, warum sollte ich dir keinen anbieten.«
Falsch, falsch, falsch.
Vesper begann sich unwohl zu fühlen.
Sie verhält sich nicht wie Margo.
Etwas stimmte hier nicht, nein, etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Sie fühlte sich, als müsste sie ein Bild betrachten, auf dem alles unscharf war - und dieser Gedanke führte sie erneut zu der Gestalt am Hafen und den Schritten, die sie vorhin im Nebel am Alsterufer gehört zu haben glaubte.
Hüte dich vor den Wölfen.
Etwas war falsch, einfach falsch im Sinne von überhaupt nicht richtig. Doch was dies war, konnte sie nicht sagen.
»Was ist mit Papa passiert?«
»Er hatte einen Unfall.« Margo Gold umkreiste ihre Tochter und ließ sie nicht aus den Augen.
»Einen Unfall?« Vorhin noch hatte Vesper das Verlangen verspürt, ihre Mutter zu umarmen, doch jetzt erfüllte sie der Gedanke, sich ihr auch nur kurz zu nähern, mit einem Abscheu, den sie sich nicht erklären konnte.
Ich habe Angst vor ihr.
»Sagte ich das nicht?« Etwas war mit ihrer Stimme. Auch sie wirkte falsch und unscharf.
Ich fürchte mich vor ihr, wie ich mich damals vor dem Wolf in meinem Traum gefürchtet habe.
Margo Gold trat auf ihre Tochter zu, und ihre schmalen Lippen entgleißten zu einem bösartigen Lächeln. Etwas tief unter ihrer Haut schien sich zu bewegen.
Vesper wich angeekelt zurück.
»Ich habe dich so sehr vermisst, Kleines«, säuselte Margo Gold. »Du bist die einzige Tochter, die mir noch geblieben ist.«
Es ist ihre Stimme.
Etwas knirschte in ihrem Mund.
Sie ist nicht richtig, nicht ganz … als würde sie sich Mühe geben, wie Margo zu klingen.
Vesper musste schlucken. Den Geruch, den ihre Mutter verströmte, kannte sie nicht.
»Amalia - sie hat geahnt, was geschehen wird, deswegen nahm sie sich das Leben.«
»Wovon sprichst du?«
Margo Gold starrte sie nur an, und Vesper erkannte ihr eigenes bleiches Spiegelbild in der Sonnenbrille ihrer Mutter.
»Was soll das alles?«, schrie Vesper sie unvermittelt an.
Hüte dich …
»Du hast natürlich keine Ahnung, mein Kind.« Die Stimme, die noch immer die Stimme ihrer Mutter war, dehnte sich und wurde zu einem Geräusch, das die Laute menschlichen Lachens kopierte, kaum
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