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Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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auf dem Marmorboden.
    Ihr Spiegelbild wirkte müde und ausgezehrt - und fast war ihr, als wäre dort tatsächlich ein Abbild des Eismeers in dem hellen Grün ihrer Augen zu erkennen. Vesper suchte in dem Spiegelbild verzweifelt nach dem Mädchen, das einmal bei seinen Eltern gelebt hatte, damals, als diese noch ein glückliches Paar gewesen waren; doch nichts von der kleinen Vesper war mehr übrig.
    Diese Stille!
    Sie wusste nicht, was genau sie erwartet hatte; nur dass sie nicht mit dieser Situation hier gerechnet hatte. Nicht mit dieser Stille.

    Sie lauschte.
    Tief in sich.
    Ganz versunken war sie in ihre Gedanken.
    Als plötzlich Musik erklang.
    Beinah hätte sie aufgeschrien. Die Stille wurde in kleine Fetzen geschnitten, die Vespers angespannte Nerven ein altes Lied singen ließen.
    Pling.
    Pling, pling!
    Pling.
    Nur viermal der gleiche Ton.
    Grell.
    Schrill.
    Hart.
    Wie Wasser, das auf kaltem Stein zerschellt.
    »Verdammt«, murmelte sie und schnappte nach Luft. »Du bist ganz schön im Arsch, Vesper, Kleines .« Sie strich sich das Haar aus der Stirn.
    Pling.
    Pling, pling!
    Pling.
    Was sollte das?
    Warum diese geisterhafte Atmosphäre? Was war hier nur los?
    Die Töne des Flügels schwebten durchs Haus wie schnelle Schüsse, gezielt und rhythmisch. Mit jedem Ton, der verhallte, wurde Vesper weiter in der Zeit zurückgeschleudert; so lange, bis sie wieder der Teenager war, der beinah an der Kälte der Musik erstickt wäre. Sie dachte an den
schwarzen Flügel und die Gestalt ihrer Mutter davor. Die steife Haltung und das sparsam und kühl dosierte Minenspiel, das äußerste Konzentration und Hingabe an die Kunst ausdrückte.
    »Ohne Musik geht es nun mal nicht.« Es tat gut, die eigene Stimme zu hören. Sie nahm einen bei der Hand und ließ nie los, auch wenn der Weg, der vor einem lag, noch so düster sein mochte.
    Der Flügel also.
    Im Salon.
    Oben.
    Vesper schaute sich um.
    Okay, dann war sie also im Salon.
    Pling.
    Pling, pling!
    Pling.
    An den Wänden hingen teure Bilder. Kunstdrucke von japanischen Malern, ein Bild von den Goldmädchen, wie Maxime Gold die Schwestern zu nennen pflegte, wenn er guter Laune gewesen war. Vesper senkte den Blick und vermied es, ihrer Schwester ins Gesicht zu sehen.
    Schnell stieg sie die lange Treppe hinauf.
    Oben im ersten Stock waren die langen Korridore dunkel, und nur das Licht, das durch die regentropfenbesprenkelten hohen Fenster und die feinen Vorhänge ins Innere fiel, zauberte lange und zerrupfte Schatten auf Boden und Wände.
    Pling.
    Pling, pling!

    Pling.
    Das Klavierspiel hörte nicht auf. Die Töne indes waren falsch und verzerrt. Fast klang es so, als wäre es wirklich nur ein einziger Ton, der unterschiedlich laut gespielt wurde; ein einziger Ton, der alles ausdrückte, was sie an diesem Tag empfand.
    Trotzdem …
    Etwas war nicht richtig.
    Vesper spürte es. So sehr, dass sie ihren Herzschlag den Rhythmus der Töne annehmen hörte.
    Das Klavierspiel ihrer Mutter war immer voller Anmut gewesen. Eine wahre Virtuosin, das war Margo Gold immer schon gewesen und das hier klang in keiner Weise nach ihr.
    Pling.
    Pling, pling!
    Pling.
    Der Rhythmus wurde schneller, je näher Vesper dem Salon kam. Sie stellte sich einen manikürten Finger ihrer Mutter vor, der Nagel feuerrot glänzend, wie er ständig auf ein und dieselbe Taste einhieb.
    Pling.
    Pling, pling!
    Pling.
    Sie erreichte den Salon.
    Pling.
    Pling, pling!
    Pling.
    Die hohen Türen waren nur angelehnt. Sie öffnete sie.

    Pling …
    Die Musik erstarb, wie sie begonnen hatte. Die plötzliche Stille war wie ein Schlag ins Gesicht.
    Vesper stockte. Ihr Herz pochte noch immer im Takt der Töne. Dann trat sie langsam ein.
    Und schon war sie wieder das kleine Mädchen, das zaghaft den Raum betrat, in dem seine Mutter die klassischen Partituren einübte. Das Mädchen, das wusste, dass es nicht stören durfte. In jedem Haus, in dem sie gelebt hatte, war ein Raum wie dieser gewesen, irgendwo. Anfangs war es nur ein kleiner Raum gewesen, ärmlich und karg eingerichtet, mit einem alten Klavier darin; später dann, nach den großen Erfolgen in den Konzerthäusern der Welt, waren die Räume größer geworden, luxuriöser und mit einem teureren und besseren Flügel ausgestattet.
    Dieser Raum nun wurde von einem großen Flügel beherrscht, schwarz glänzend und edel und so teuer, dass sein Wert mühelos alles überbot, was Vesper an Krimskrams in ihrer schäbigen Wohnung besaß. Die Möbel im Salon, allesamt kostbare und

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