Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
tuckerten sie, gelangweilte und mit Kameras bewaffnete Touristen an Bord.
    Vesper drehte den iPod in der Hand, drehte mit dem Finger ein wenig weiter, bis endlich The Beginning von Ian Brien O’Docker kam.
    Sie blieb kurz stehen, wippte mit den Füßen im Takt.
    And I’m starting to believe
    that this is the end.
    Ja, das war besser.
    This is the beginning,
    cause this is the end.
    Sie atmete die vom Schnee durchtränkte Nachtluft ein, lauschte dem Verkehr, der lautstark allgegenwärtig war,
trotz der Musik in ihren Ohren, betrachtete die Passanten, die achtlos und grau an ihr vorbeiliefen. Niemand schenkte der jungen Frau Beachtung.
    Mit einem unruhigen Schaudern dachte Vesper an das Wolfswesen, das auch von niemandem bemerkt worden war. Sie sah sich um. Die dunkle Stadt hatte sich mit ihrem Geäst ganz um sie herumgelegt.
    Try to calm down my circulation.
    Plötzlich veränderte sich etwas. Obwohl sie nur die Musik hörte, war es nicht zu übersehen. Als trüge der eisige Wind mit dem Schnee eine unsichtbare Bedrohung in die Stadt.
    Sie sah, wie Menschen plötzlich am Boden kauerten. An einer Bushaltestelle rannten die Passanten plötzlich aufgeregt hin und her, hielten auf der Straße wild Ausschau nach irgendetwas.
    Vesper zog die Stöpsel aus den Ohren.
    Sofort wurde sie der Sirenen gewahr.
    Hüte dich vor den Wölfen.
    Und dem, was ihnen folgt.
    Sie hörte Krankenwagen, sah Polizisten mit den Menschen reden. Die Autos hielten an, der Verkehr kam zum Erliegen. Es war, als hielte die ganze Stadt mit einem Mal die Luft an.
    Wie angewurzelt blieb sie stehen.
    Die Menschen kamen aus den Häusern auf die Straße gerannt. Keiner wusste, was er tun sollte.
    Und dann sah sie es.
    Die Passanten waren überall stehen geblieben und kauerten über den reglosen Leibern von Kindern. Die Mütter
weinten, und alle griffen zu ihren Handys. Alle wählten die Nummer von Angehörigen, von Ärzten, von jemandem, dessen Hilfe sie sich erhofften.
    Doch niemand konnte helfen.
    Kinder, die auf den Rücksitzen der Autos gesessen hatten, hingen regungslos in den Gurten. Fenster in den Häusern wurden aufgerissen, und verzweifelte Eltern riefen um Hilfe, die nicht kam.
    Es passierte schon wieder.
    Hüte dich vor dem, was ihnen folgt.
    Sie sah eine kreischende Mutter, die über ihr Kind, einen Jungen mit bunter Zipfelmütze, gebeugt auf den Pflastersteinen kniete. Ein Vater bettete seine leblose Tochter auf die zusammengerollte Jacke, die er sich ausgezogen hatte. Ein junges Ehepaar, dessen Wagen auf einen anderen aufgefahren war, kümmerte sich nicht um den Unfall, sondern stand wie gelähmt vor dem stumm schlafenden Baby.
    Die Menschen riefen in Panik umher.
    »Sie nehmen uns die Kinder!«, schrie eine Frau - und Vesper fragte sich ganz bang, ob sie eine Vorstellung davon hatte, wer sie sein konnten. »Was sollen wir nur machen?«
    Vesper traute sich nicht, näher an die Menschen heranzugehen. Sie war nur eine Passantin, die mit all dem nichts zu tun hatte.
    Langsam ging sie weiter.
    Wohin sie auch sah, bot sich ihr das gleiche Bild. Weinende Eltern, die in stiller Hilflosigkeit die Körper ihrer
Kinder festhielten. Überall, wo eben noch die Kinder gewesen waren, bedeckten nun schlafende Körper die Wege und Straßen.
    Vesper konnte es nicht fassen.
    So sah es also aus, wenn es passierte.
    Und dennoch - es war so unwirklich. Wie eine Szene in einem Film, genauso mutete alles an. Die Kinder waren wieder in einen tiefen Schlaf gefallen, ohne Grund, einfach so, wie am Tag zuvor. Ihre kleinen Körper sackten in sich zusammen und bedeckten regungslos den Boden. Die Eltern rauften sich die Haare, rannten kopflos umher. Krankenwagen fuhren wild und ziellos herum, und immer mehr Polizisten versuchten, der Situation Herr zu werden. Sie redeten auf die Eltern ein und sahen ratlos und besorgt aus.
    This is the beginning.
    Und dann, so schnell, wie es begonnen hatte, war es wieder vorbei.
    Die Kinder öffneten die Augen, sie bewegten sich, und der Spuk war vorüber, als habe er niemals stattgefunden.
    Von überallher hörte man das erleichterte Lachen der Erwachsenen und vereinzelt auch die Stimmen der Kinder, die keine Ahnung zu haben schienen, was da gerade mit ihnen geschehen war.
    Vesper, die alles aus der Ferne beobachtet hatte, rief Ida an, doch niemand ging ran.
    Wo steckst du nur?
    Sie konnte nur hoffen, dass es Greta gut ging.
    Okay, bis zum Hotel war es nicht mehr weit.

    Sie wollte weg von der Straße. Viel zu viele Dinge, die

Weitere Kostenlose Bücher