Grimm - Roman
U-Bahn-Stationen zu, und keiner achtete auf den anderen.
On dit que je suis né le jour le plus froid du monde.
On dit que je suis avec le cœur gelé.
Ja, so fühlte sie sich. Kalt und erstarrt in einer Welt, die vom klirrend kalten Winter geküsst worden war.
Das, was sie heute vorhatte, musste sie allein tun. Sie konnte weder Ida noch sonst irgendwen damit behelligen.
Trotzdem rief sie von unterwegs aus Ida an.
»Wo hast du denn nur gesteckt?«, begrüßte Vesper sie, in gleichem Maße erleichtert und aufgeregt. »Ich habe den ganzen Abend versucht, dich zu erreichen.«
»Es ist wieder passiert«, sagte Ida.
»Ich habe es gesehen. Auf der Straße.«
»Mein Gott, Vesper, was passiert nur mit uns?«
»Wie geht es Greta?«
»Wie alle Kinder ist sie für ein paar Minuten eingeschlafen. Danach ging es ihr wieder gut. Sie ist jetzt im Kindergarten.«
Vesper musste an das alte Märchen denken. Dornröschen. Daran, wie alle im Schloss in einen tiefen Schlaf gefallen waren. Das Kinderbuch, das sie gemocht hatte, war voller Zeichnungen gewesen. Eine der Radierungen zeigte den Hofstaat im Schlaf. Alle waren bei dem, was sie gerade getan hatten, als der Schlaf sie übermannte, mitten in der Bewegung erstarrt. Sogar der Koch war eingeschlafen in dem verwunschenen Schloss. In dem Bilderbuch
war er mit dem hölzernen Kochlöffel in der Hand erstarrt, jenem Löffel, mit dem er dem nunmehr ebenfalls schlafenden faulen Küchengehilfen den Hintern hatte versohlen wollen.
»Was hat es mit diesen Träumen, von denen alle reden, auf sich? Hattest du auch einen?«
Stille.
Dann: »Ja.«
»Willst du darüber reden?«
»Da gibt es nicht viel zu sagen.« Sie suchte nach Worten. »Ich habe geträumt, dass ich in einen Spiegel schaue.« Sie stockte. Das Reden fiel ihr nicht leicht »Mein Spiegelbild hat etwas zu mir gesagt.«
Knacken in der Verbindung.
Vesper wich einem Passanten aus. Alles schien wieder ganz normal zu sein in der Stadt.
»Was hat es gesagt?«
»Es hat sich angehört wie ganz unglaublich viele Kinderstimmen«, sagte Ida mit brüchiger Stimme. »So, als würden Hunderte von Kindern etwas flüstern. Wir sind hier, das hat es zu mir gesagt.«
Vesper erschauderte.
»Millionen von Menschen haben das Gleiche geträumt.«
Vesper stellte sich vor, wie all diese Menschen zur gleichen Zeit aus dem gleichen Traum erwachten, zitternd und bebend vor Angst, weil sie alle jene Worte vernommen hatten - Wir sind hier! -, und dann furchtsam und besorgt in die Kinderzimmer schlichen, um nach den Kleinen zu sehen.
»Heute Nacht habe ich wieder einen Traum gehabt. Nur hat der Spiegel etwas anderes gesagt. Wir sind erwacht. «
Vesper war sprachlos. Davon war in den Medien nichts erwähnt worden.
»Wer sind wir ?«
»Es hat mit den Kindern zu tun, Vesper. Ich habe solche Angst davor, dass es wieder passiert. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, wenn dein Kind einfach so zusammenbricht.« Sie schluckte, hustete. »Es wird wieder passieren, ich weiß es. Greta hat solche Angst.«
»Haben die Kinder auch geträumt?«
»Greta kann sich an nichts erinnern. Und den anderen Eltern, mit denen ich gesprochen habe, ergeht es wie mir. Niemand weiß etwas. Die Ärzte sind ratlos.«
»Oh, Ida.«
»Greta hat Angst, weil sie spürt, wie ängstlich ich bin.«
Dicke Schneeflocken trieben in den anbrechenden Tag hinein und dämpften den Herzschlag der Stadt. Penner wühlten in Mülltonnen, und Geschäftsleute eilten zur Arbeit.
Vesper fragte sich, wie viele von ihnen den Traum gehabt hatten.
Wir sind erwacht!
Sie bekam das Bild aus dem Märchenbuch nicht mehr aus dem Kopf.
Es war einmal …
Dornröschen.
This it the beginning.
Wölfe.
This is the end.
Seltsame Begebenheiten.
»Aber wie geht es dir?«
Vesper öffnete den Mund und hätte ihr am liebsten von allem erzählt, was sie bedrückte. Doch sie besann sich. Es würde sich durch und durch verrückt anhören. Sie konnte Ida jetzt nicht auch noch damit belasten.
»Ich bin heute Abend wieder da«, sagte sie nur.
»Kommst du her?«
»Ich rufe dich an«, versprach Vesper. »Grüß Greta von mir.« Dann legte sie auf.
Mit schnellen Schritten ging sie in Richtung Stadthausbrücke, schlüpfte in ein Internetcafé am Rödingsmarkt und ließ sich einen Stadtplan von Blankenese ausdrucken. Sie faltete das Blatt und stopfte es in den Rucksack zu dem restlichen Kram. Dank des eifrigen Notars kannte sie die Anschrift jenes geheimnisvollen Herrn Coppelius,
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