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Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Sandmann.« Er grinste breit, und seine blaugrauen Augen lachten mit. Für sein Alter sah er gut aus, dachte sie beiläufig. »Aber das ist nur der etwas seltsame Name, unter dem die Mythen mich kennen.« Er verneigte sich kurz und knapp. »Jonathan Andersen ist mein richtiger Name. Es tut mir leid, dass ich mich vorher nicht zu erkennen geben konnte, aber ich musste wirklich sicher sein, dass ihr keine Alraunen seid.«
    »Alraunen?«
    »Eine uralte magische Pflanze, die menschliche Gestalt annehmen kann. Die Wölfe benutzen sie, um die Menschen zu täuschen. Ihr habt gesehen, was sie tun kann.«
    »Das Coppelius-Ding.«

    »Und meine Mutter.« Schaudernd erinnerte sich Vesper an den Besuch in der Villa. An den Leichnam im Klavier. Unglaublich, erst zwei Tage war das her. Wie war es nur möglich, dass die Zeit so schnell verrann?
    »Sie sind nicht sehr klug, aber sie vermögen uns zu täuschen. Sie sind perfekte Kopien.«
    »Wer sind Sie?«, fragte jetzt auch Leander.
    »Oh«, er lächelte. »Darf ich eintreten?« Er wartete die Antwort nicht ab, sondern schob sich charmant an Leander vorbei in die Kabine. »Friedrich Coppelius hat euch von der Bohemia erzählt, nicht wahr?«
    »Nicht sehr viel«, stellte Vesper fest.
    »Eigentlich nichts«, sagte Leander.
    Jonathan Andersen schloss die Tür hinter sich, leise und behutsam. »Nun, ich gehöre irgendwie dazu, sozusagen.« Er zögerte ein wenig bei dieser Formulierung, wenn auch nur unmerklich. »Ja, ich gehöre der Bohemia an, auch wenn es Stimmen gibt, die etwas anderes behaupten.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Aber das ist eine andere Geschichte, die uns nicht interessieren soll.« Er schaute sich in der Kabine um. »Und jetzt? Ist es nicht eine außerordentlich üble Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet ich noch übrig bin?«
    Vesper und Leander tauschten Blicke.
    Wer war dieser Kerl? Wovon redete er? Und - viel wichtiger - was wollte er von ihnen?
    Er bewegte sich geschmeidig wie ein Tänzer und war sich seiner sicher. Er war schon recht alt, Vesper schätzte ihn auf Mitte vierzig. Die Haare adrett und kurz geschnitten,
ein wenig wie Tom Cruise, jungenhaft und glatt. Er wirkte sehr zackig, rastlos und getrieben.
    »Was meinen Sie mit die Mythen ?« Sie hatte diesen Begriff als eine Art Namen vorher noch nie gehört. Aus dem Mund des Fremden hörte es sich an, als spräche er von lebendigen Wesen.
    Jonathan Andersen ging in der engen Kabine auf und ab. »Es ist schön hier«, sagte er, »wirklich.«
    Vesper wurde ungeduldig. »Hören Sie, es ist toll, dass Sie uns in Blankenese geholfen haben, aber es wäre jetzt wirklich außerordentlich nett, wenn Sie uns endlich sagen könnten, wer, in aller Welt, Sie sind. Ich meine, Sie tauchen hier einfach auf, nachdem Sie uns den Wagen überlassen haben, und erzählen uns all diese seltsamen Dinge. Warum sollten wir Ihnen trauen, wo Sie doch …«
    »Es gibt sonst niemanden.« Er wurde ernst. Sah ihr direkt in die Augen. »Ich bin der Einzige.«
    »Was meinen Sie?«
    »Es gibt sonst niemanden mehr, dem ihr trauen könnt. Ich bin, soweit ich weiß, der letzte Überlebende. Alle anderen sind tot.«
    »Sprechen Sie von der Bohemia ?«
    »Wovon sonst? All die mysteriösen Unfälle, von denen man seit Tagen hört. Sie haben einen nach dem anderen ausgeschaltet. Sie beseitigen alles, was ihrem Plan im Weg stehen könnte.«
    Vesper fragte sich, wie ihr Vater wohl gestorben war. Wenngleich sie es eigentlich nicht wissen wollte, nagte die
Unwissenheit diesbezüglich doch sehr an ihr. Es war wie ein Schmerz, der niemals wirklich gehen würde.
    »Was ist hier los?«, wollte Leander ebenfalls wissen. Er machte ein ernstes Gesicht, kniff die Augen zusammen, gab sich Mühe, gefährlich und entnervt auszusehen.
    Andersen stand breitbeinig mitten im Raum. Er war nicht sehr groß, wirkte aber riesig, was er wohl seinem Ego zu verdanken hatte.
    »Ihr beiden habt keine Ahnung, stimmt’s?«
    Beide schüttelten den Kopf.
    Edgar, das Äffchen, sprang von Vespers Schulter auf den Fernseher und blieb dort sitzen.
    »Aber ihr wisst, dass uns die Zeit davonläuft?«
    »Ich habe es im Radio gehört«, sagte Vesper. »Das meinen Sie doch.«
    »Ja, das meinte ich.«
    Leander ging an ihm vorbei und ließ sich in einen der Sessel fallen. »Herrje, nun reden Sie schon!«
    Andersen ging zum Fernseher und reichte dem Äffchen die Hand. Das kleine Tier schnupperte daran, dann hüpfte es auf den Koffer, der neben dem Bett stand.
    »Gut,

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