Grimms Märchen, Vollständig überarbeitete und illustrierte Ausgabe speziell für digitale Lesegeräte (German Edition)
das Bürle: »Da hab ich einen Wahrsager drin.«
»Kann der mir auch wahrsagen?«, sprach der Müller. »Warum nicht?«, antwortete das Bürle, »er sagte aber nur vier Dinge, und das fünfte behält er bei sich.« Der Müller war neugierig und sprach: »Laßt ihn einmal wahrsagen.« Da drückte Bürle dem Raben auf den Kopf, daß er quakte und »krr, krr« machte.
Sprach der Müller: »Was hat er gesagt?« Bürle antwortete: »Erstens, hat er gesagt, es steckte Wein unterm Kopfkissen.« – »Das wäre des Kuckucks!«, rief der Müller, ging hin und fand den Wein. »Nun weiter«, sprach der Müller. Das Bürle ließ den Raben wieder quaksen und sprach: »Zweitens, hat er gesagt, wäre Braten in der Ofenkachel.« – »Das wäre des Kuckucks!«, rief der Müller, ging hin und fand den Braten. Bürle ließ den Raben noch mehr weissagen und sprach: »Drittens, hat er gesagt, wäre Salat auf dem Bett.« – »Das wäre des Kuckucks!«, rief der Müller, ging hin und fand den Salat. Endlich drückte das Bürle den Raben noch einmal, daß er knurrte, und sprach: »Viertens, hat er gesagt, wäre Kuchen unterm Bett.« – »Das wäre des Kuckucks!«, rief der Müller, ging hin und fand den Kuchen.
Nun setzten sich die zwei zusammen an den Tisch, die Müllerin aber kriegte Todesängste, legte sich ins Bett und nahm alle Schlüssel zu sich. Der Müller hätte auch gern das fünfte gewußt, aber Bürle sprach: »Erst wollen wir die vier andern Dinge ruhig essen, denn das fünfte ist etwas Schlimmes.« So aßen sie, und danach ward gehandelt, wieviel der Müller für die fünfte Wahrsagung geben sollte, bis sie um dreihundert Taler einig wurden.
Da drückte das Bürle dem Raben noch einmal an den Kopf, daß er laut quakte. Fragte der Müller: »Was hat er gesagt?« Antwortete das Bürle: »Er hat gesagt, draußen im Schrank auf dem Hausehrn, da stecke der Teufel.« Sprach der Müller: »Der Teufel muß hinaus«, und sperrte die Haustür auf, die Frau aber mußte den Schlüssel hergeben, und Bürle schloß den Schrank auf. Da lief der Pfaff, was er konnte, hinaus, und der Müller sprach: »Ich habe den schwarzen Kerl mit meinen Augen gesehen, es war richtig.« Bürle aber machte sich am andern Morgen in der Dämmerung mit den dreihundert Talern aus dem Staub.
Daheim tat sich das Bürle allgemach auf, baute ein hübsches Haus, und die Bauern sprachen: »Das Bürle ist gewiß gewesen, wo der goldene Schnee fällt und man das Geld mit Scheffeln heimträgt.« Da wird Bürle vor den Schultheiß gefordert, es sollte sagen, woher sein Reichtum käme.
Antwortete es: »Ich habe mein Kuhfell in der Stadt für dreihundert Taler verkauft.« Als die Bauern das hörten, wollten sie auch den großen Vorteil genießen, liefen heim, schlugen alle ihre Kühe tot und zogen die Felle ab, um sie in der Stadt mit dem großen Gewinn zu verkaufen. Der Schultheiß sprach: »Meine Magd muß aber vorangehen.« Als diese zum Kaufmann in die Stadt kam, gab er ihr nicht mehr als drei Taler für ein Fell; und als die übrigen kamen, gab er ihnen nicht einmal soviel und sprach: »Was soll ich mit all den Häuten anfangen?«
Nun ärgerten sich die Bauern, daß sie vom Bürle hinters Licht geführt waren, wollten Rache an ihm nehmen und verklagten es wegen des Betrugs bei dem Schultheiß. Das unschuldige Bürle ward einstimmig zum Tod verurteilt und sollte in einem durchlöcherten Faß ins Wasser gerollt werden.
Bürle ward hinausgeführt und ein Geistlicher gebracht, der ihm eine Seelenmesse lesen sollte. Die andern mußten sich alle entfernen, und wie das Bürle den Geistlichen anblickte, so erkannte es den Pfaffen, der bei der Frau Müllerin gewesen war. Sprach es zu ihm: »Ich hab Euch aus dem Schrank befreit, befreit mich aus dem Faß.« Nun trieb gerade der Schäfer mit einer Herde Schafe daher, von dem das Bürle wußte, daß er längst gerne Schultheiß geworden wäre; da schrie es aus allen Kräften: »Nein, ich tu’s nicht!«
Der Schäfer, der das hörte, kam herbei und fragte: »Was hast du vor? Was willst du nicht tun?« Bürle sprach: »Da wollen sie mich zum Schultheiß machen, wenn ich mich in das Faß setze, aber ich tu’s nicht.« Der Schäfer sagte: »Wenn’s weiter nichts ist! Um Schultheiß zu werden, wollte ich mich gleich in das Faß setzen.« Bürle sprach: »Willst du dich hineinsetzen, so wirst du Schultheiß.«
Der Schäfer war’s zufrieden, setzte sich hinein, und das Bürle schlug
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