Grimpow Das Geheimnis der Weisen
verstand augenblicklich, warum sämtliche Ritter des Turniers ihrer ungewöhnlichen Schönheit erlagen. Dann sah er zu Salietti hinüber und bemerkte in dessen unschuldiger Miene die gleiche Liebe, wie er selbst sie in der Abtei Brinkum empfunden hatte, als ihm plötzlich das Mädchen mit den kristallklaren Augen gegenübergestanden hatte.
»Habt Ihr je eine schönere Dame gesehen? Ich habe es ja gleich gesagt, im gesamten Elsass werdet Ihr keine ihresgleichen finden und ebenso wenig im ganzen französischen Königreich«, verkündete Guival stolz.
Salietti wirkte verwirrt. »Wenn die junge Frau wirklich die Tochter von Gandalf Labox ist, dann bin ich sicher, dass sie meine Nachricht gelesen hat. Daraufhin hat sie wahrscheinlich den Baron um Erlaubnis gebeten, ihn zum Turnier begleiten zu dürfen. Sie weiß, dass die Botschaft aus dem Wasserkrug nur von jemandem stammen kann, der ihr helfen will. Und sie weiß auch, dass sie dem Turmzimmer nur entkommen kann, wenn sie sich, trotz der Trauer um ihren verstorbenen Vater und der Anwesenheit von Burumar de Gostelle auf der Tribüne, den Wünschen des Barons fügt«, sagte er.
»Es freut mich, Euch ein weiteres Mal zu Diensten gewesen zu sein, mein Herr«, sagte Guival grinsend.
»Du weißt gar nicht, wie sehr du das warst. Wir sehen uns später wieder, und erinnere mich bitte daran, dass ich dir noch eine Goldbohne schulde.«
Der Diener bot Grimpow an, ihm nach dem Turnier die Falken und Habichte des Barons zu zeigen. Als der nächste Ritter den Kampfplatz betrat, entfernte er sich schon wieder in Richtung Hang.
»Hütet Euch vor dem Schwert des Reiters, der am Eingang des Kampfplatzes steht«, hatte er Salietti noch rasch zugeflüstert.
Der Herzog wandte sich zum Eingang des Kampfplatzes um und musterte die beeindruckende Gestalt eines Ritters in festlicher schwarzer Kampfkleidung mit einem Schild, auf dem ein Turm von einem Rabenflügel gekreuzt war. Auf dem Knauf seines Stechhelms prangte ein Geierkopf. Sein Pferd trug eine lange schwarze Decke, die ihm bis über den Kopf reichte und nur die großen schwarzen Augen frei ließ.
»Wer ist der Mann?«, fragte Salietti neugierig.
»Das ist der gefürchtete Valdigor de Rovol. Von ihm machen Geschichten die Runde, die den geschicktesten und wagemutigsten Rittern das Blut in den Adern stocken lassen. Er ist die rechte Hand des Barons und pflegt eine freundschaftliche Beziehung zu Burumar de Gostelle. Beide haben ihm nicht nur große Mengen Goldes in Aussicht gestellt, wenn er sich dem Kreuzzug anschließt, sondern auch Ulf von Österbergs Festung als Entschädigung versprochen.«
Valdigor de Rovol schlug seinen Gegner mit einer Leichtigkeit, als gelte es, eine Vogelscheuche umzukippen. Danach ritt er als stolzer Sieger über den Turnierplatz und zeigte die Abzeichen seiner Standarte herum. Die Soldaten bejubelten ihn, die Ritter erwiesen ihm die Ehre, die Damen warfen ihm bewundernde Blicke zu und lächelten ihn verstohlen, aber zustimmend an, und auch der Baron war sichtlich zufrieden.
Indessen begann Salietti unter seiner Rüstung zu zappeln, als erlitte er gerade einen Krampf.
»Wie viele Wettkämpfer sind noch vor uns dran?«, fragte er Grimpow, als die Trompeten zum nächsten Zweikampf riefen.
»Noch zwei, dann kommt deine Gelegenheit, dich zu beweisen. Dein Gegner ist der Ritter, dessen Pferd mich gestern fast niedergetrampelt hätte. Weißt du noch, der mit dem geschlossenen Helm?«
»Diese Beleidigung werde ich ihm mit dem ersten Hieb meiner Stechlanze heimzahlen«, sagte Salietti lachend, ohne die bezaubernde Dame auf der Tribüne aus den Augen zu lassen. Sie schien vor Melancholie fast zu vergehen, wie sie so ein Stück von Burumar de Gostelle abgerückt dasaß, der sie immer wieder mit hasserfüllten, misstrauischen Blicken bedachte.
Bevor der Herold Salietti aufrief, bestieg der Ritter sein festlich geschmücktes Pferd mit den vier Quadraten im Wappen -der Sonne vor blauem Himmel und dem Mond vor schwarzem Himmel -, die abwechselnd je zweimal erschienen. Dann zog er seinen Helm über, auf dem ebenfalls eine Sonne funkelte und dazu ein goldener Helmbusch. Als er nun seinen Freund bat, ihm die Stechlanze und den wehrhaften Wappenschild zu reichen, da wurde Grimpow vom Stolz überwältigt, sein Knappe zu sein.
Der Junge führte das Pferd an den Zügeln zum Eingang des Kampfplatzes. Als die Herolde den Herzog de Estaglia ausriefen, sah Salietti zur Tribüne hinüber und versuchte zu erkennen, ob sich
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