Grimpow Das Geheimnis der Weisen
er den Ritter, sobald dieser die Augen aufschlug.
»Es war ein langer Abend, der für mich sehr günstig verlaufen ist, glaube mir«, antwortete Salietti halblaut. »Erst habe ich üppig gespeist und dann mit dem Baron stundenlang über seine Zukunft und seine Pläne gesprochen. Ich habe sein Vertrauen recht schnell gewonnen und wertvolle Auskünfte von ihm erhalten, nur den Schlüssel zum Turmzimmer konnte ich nicht finden. Du hättest seine Miene sehen sollen, als ich von seinen Kriegsplänen und dem wunderkräftigen Gegenstand geredet habe, den er vergeblich sucht.«
»Hast du mit ihm auch über das Geheimnis der Weisen gesprochen?«, fragte Grimpow und wusch sich an ihrem Wasserkübel das Gesicht.
»Genauso wie ich gerade mit dir spreche. Er wollte wissen, ob er es bald entdecken würde.«
»Was hast du geantwortet?«
»Ich habe ihm die Wahrheit gesagt: dass er es nie entdecken wird, weil es nicht dort ist, wo er es vermutet, und weil er es immer auf dem falschen Weg sucht. Aber als er dann die Karte Der Tod gezogen hat, wurde sein Schurkengesicht so weiß wie Wachs.«
»Der Tod?«, hakte Grimpow nach.
»Ja. Die Karte hat verschiedene Bedeutungen, je nach den Einsichten des Wahrsagers. Ich habe sie ihm als Schatten der Ungewissheit ausgelegt. Er könne in den bevorstehenden Schlachten den Tod finden, habe ich zu ihm gesagt. Das war schließlich nicht gelogen.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Wenn er in Kürze die Burgen des Steinkreises angreift, dann ist ihm der Tod so gut wie sicher, kein Wahrsager und keine Zauberkräfte werden das verhindern können.«
»Auch ich habe gestern Abend in der Küche ein paar interessante Erkenntnisse gewonnen«, sagte Grimpow mit einem Unterton anmaßender Selbstgefälligkeit in der Stimme.
»Ich freue mich zu erfahren, dass du deine Zeit nicht vertrödelt hast, während ich mein Leben aufs Spiel gesetzt und den Baron an der Nase herumgeführt habe. Hast du Guival die Nachricht überbracht?«, wollte Salietti wissen, während er wieder seine Reisekleidung anzog und das festliche Wams für die Feierlichkeiten am Abend weglegte.
»Lass uns frühstücken gehen. Ich habe nicht so üppig zu Abend gegessen wie du und der Hunger nagt schon an meinem Magen.«
Unterwegs berichtete Grimpow Salietti, wie er den Abend verbracht hatte. Er erzählte, dass er Guival mit anderen jungen Dienern des Barons in den Stallungen gefunden habe, wo sie die Pferde versorgten und dabei heimlich ein paar Krüge Bier leerten.
»Als ich dort aufgetaucht bin, war seine Freude so groß, als stünde sein Schutzengel vor ihm. Die Goldbohne hat er sofort eingesteckt und dann erst angefangen, darüber nachzudenken, wie er der Gefangenen die Nachricht überhaupt zustellen könnte, weil die Tür des Turmzimmers stets von einem Soldaten bewacht wird. Diesem hat der Baron wohl angedroht, dass er es mit dem Leben bezahlen müsse, falls jemand dort eindringt. Da ist mir eingefallen, dass jemand vom Küchenpersonal der Gefangenen ja etwas zu essen bringen muss. Guival erklärte mir, er kenne die Dienstmagd, aber sie würde niemals einem Befehl des Barons zuwiderhandeln, ganz gleich wie viel Gold man ihr dafür in Aussicht stelle.«
»Das klingt ja ganz schön vertrackt«, meinte Salietti, der aufmerksam zugehört hatte.
»Ja, aber Guival hat mir angeboten, die Dienstmagd abzulenken, während sie den Korb mit den Speisen zurechtmachte, damit ich die Botschaft hineinschmuggeln konnte. So sind wir verblieben. Anschießend hat er mir als Sohn des Falkners ausführlich von der Falknerei des Barons erzählt und behauptet, dass es im Umgang mit den Vögeln keinen Kunstgriff gebe, auf den er sich nicht verstehe. Dabei haben wir uns die ganze Zeit in der Hauptküche herumgedrückt und keinen Augenblick den Korb aus den Augen gelassen, der schon auf einem Tisch bereitstand. Schließlich kam die Küchenmagd, eine füllige, reife Frau mit gerötetem Gesicht und mürrischer Miene, und fing an, das Mahl zusammenzustellen: einen Fisch, Brot, etwas Käse und einen Krug Wasser. Als sie gerade damit losgehen wollte, hat Guival sie unter irgendeinem Vorwand vom Korb weggelockt. Diesen Augenblick habe ich genutzt, um die Nachricht darin zu verstecken.«
»Wo genau hast du sie versteckt?«, fragte Salietti in der Angst, die Botschaft könnte ihr Ziel verfehlt haben.
»Ich habe sie auf das Wasser im Krug gelegt.«
»Du hast sie ins Wasser geworfen!«, rief der Ritter vor Schreck so laut, dass die Umstehenden auf ihn
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