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Grimpow Das Geheimnis der Weisen

Grimpow Das Geheimnis der Weisen

Titel: Grimpow Das Geheimnis der Weisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Abalos
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Gang um die Kathedrale achteten sie auf jedes Zeichen und jeden für ihre Suche dienlichen Hinweis und erforschten unermüdlich jeden Mauervorsprung, jede Säule und jedes Kapitell, jedes in die Giebelfelder eingemeißelte Relief und all die vielen Skulpturen, die wie im Stein verewigte Wesen die Kathedrale zierten.
    Am Nordtor angelangt, standen sie vor einer offenen Tür.
    »Nun können wir ja doch in die Kathedrale hinein«, frohlockte Salietti.
    In diesem Moment bemerkte Weynelle die Säulen zu beiden Seiten der Tür und über ihren Kapitellen die Nischen mit den Basreliefs.
    »Seht nur!«, rief die junge Frau und war sicher, dass sie gefunden hatte, wonach sie suchten.
    Grimpow und Salietti hoben gleichzeitig den Blick und betrachteten die beiden in den Stein gemeißelten Szenen, die in ihrer hermetischen Sprache lautlos zu sprechen begannen.
    »Die eine Szene zeigt eindeutig eine Truhe, die auf einem Ochsenkarren befördert wird, und die andere einen Mann, der die Truhe inmitten eines von Leichen übersäten Feldes mit einem Tuch bedeckt«, beschrieb Weynelle, was sie sah.
    »Eine der Leichen sieht aus wie ein Ritter im Kettenhemd«, fügte Salietti hinzu.
    »Es ist die Geschichte von der Überführung des Geheimnisses der Weisen durch die neun Ritter des Salomonischen Tempels. Deshalb bedeckt der Mann im zweiten Bild die Truhe mit einem Tuch, von der die Legenden behaupten, dass sich darin der Schatz der Templer befindet«, folgerte Grimpow.
    »Hier, unter den beiden Bildern mit dem Karren und der Truhe, ist eine lateinische Inschrift«, bemerkte Salietti.
    »Was könnte der Text bedeuten?«, fragte Weynelle.
    »Ich kann nicht genau verstehen, was da steht«, erwiderte Salietti.
    Grimpow zückte das Stück Pergament mit seinen Aufzeichnungen und den Kohlestift und schrieb die Inschrift ab.

    HIC AMITITUR ARCA CEDERIS 

    »So wie sie dastehen, ergeben die Worte auf Lateinisch keinen eindeutigen Sinn.
    Hic
    heißt >hier, an diesem Ort<;
    amititur cheint eine eigene Wortschöpfung zu sein, denn das Wort gibt es auf Latein nicht, obwohl es so klingt. Vielleicht ist es eine Ableitung von amittere, dessen eigentliche Bedeutung >weit schicken < ist, aber es kann auch mit >verlassen< oder >verbergen< übersetzt werden. Die Reliefbilder legen nahe, dass mit arca wohl eine Truhe gemeint ist. Das Wort cederis bereitet mir die größten Schwierigkeiten, es könnte etwas mit cedere zu tun haben, was >abgeben< bedeutet, oder aber mit foederi, dann würde die Übersetzung >Bund< lauten«, erläuterte Salietti ihnen, denn er kannte seine Muttersprache sehr gut.
    »Nach deiner Auslegung ist die Inschrift also in einem wenig gebräuchlichen Latein verfasst und könnte bedeuten, dass die abgegebene Truhe oder Bundeslade von weit her geschickt wurde«, fasste Weynelle zusammen.
    Der Ritter blieb nachdenklich und versuchte, der undurchschaubaren Inschrift noch einen eindeutigeren Sinn zu entlocken, bis er schließlich einräumte: »Ich bin nicht ganz sicher. Aber ich glaube, das könnte eine ziemlich treffende Deutung sein.«
    »Wenn wir bedenken, dass uns Humius gesagt hat, dass in der Sprache der alten Weisen nichts so ist, wie es zu sein scheint, dann wäre es nicht verwunderlich, wenn sich diese Inschrift bloß als Lateinisch tarnt, damit nur diejenigen ihre wahre Bedeutung verstehen, für die sie bestimmt ist. Ich stimme deiner Auslegung übrigens voll und ganz zu«, überlegte Grimpow.
    »Das sehe ich genauso: Die Reliefs über den Säulenkapitellen stellen zweifellos die mühselige Reise der neun Tempelritter dar. Deshalb befindet sich der nach diesen Säulen benannte Übergang auf der Landkarte des Unsichtbaren Weges und aus Aidor Bilbicums Manuskript genau hier. Dann lasst uns also die Säulen des Übergangs durchschreiten und uns ins Labyrinth begeben, um die Saat auszubringen und die Blume erblühen zu sehen.«
    Als sie die Kathedrale von Chartres durch die Tür der Eingeweihten betraten, fiel die Abendsonne durch die Glasfenster der hohen Kirchenschiffe, sodass die zahllosen Bibel- und Alltagsgeschichten einen durchsichtigen Teppich in zartem Rot, Gelb, Blau und Grün über den Boden breiteten. Beim Anblick dieses schier endlosen Spiels aus Lichtern und Bildern verstand Grimpow, warum das Wort ARS als Teil des Namens der Stadt Chartres auf der Landkarte des Unsichtbaren Weges auftauchte. Im gleichen Augenblick spürte er voller Staunen, dass der Stein an seinem Hals wieder seine warme glutrote Farbe annahm.
    »Mit dem

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