Grimpow Das Geheimnis der Weisen
gibt.«
»Ich verstehe Euch nicht. Zweifelt Ihr denn nicht an dem, was ich Euch erzählt habe?«
»Warum sollte ich an diesem Wunder zweifeln? Ist es etwa kein Wunder, dass die Sonne jeden Morgen im Osten auf- und im Westen untergeht? Steckt etwa kein Geheimnis hinter den Wundern der Natur, hinter den Bahnen des Mondes oder hinter der Reglosigkeit der Sterne?«
»Was hat denn all dies mit dem rätselhaften Verschwinden des Tempelritters zu tun?«, wollte Grimpow nun völlig durcheinander wissen.
»Die alte Legende vom Geheimnis der Templer ist so wahr wie die Geschichte, die du mir erzählt hast«, antwortete der alte Mönch voller Begeisterung. »Genau dieses Geheimnis will Burumar de Gostelle aufdecken. Deshalb hat er auch den Edelmann verfolgt, den du tot in den Bergen gefunden hast.«
»Was für eine alte Legende meint Ihr denn?«, fragte Grimpow just in dem Moment, als vor seinem geistigen Auge undeutliche Bilder vergangener Zeiten und ferner Länder erschienen.
»Bevor ich dir von dieser Legende erzähle, sag mir bitte, ob ihr außer den Münzen noch etwas bei dem Leichnam des Tempelritters gefunden habt.«
Grimpow überlegte erneut, ob er Bruder Rinaldo die Wahrheit sagen oder ihn anlügen sollte, doch schließlich entschied er sich dafür, alles aufzuzählen, was sie in der Satteltasche gefunden hatten. Einzig den Stein aus der Hand des toten Edelmannes, der nun in seinem Leinensäckchen steckte, ließ er unerwähnt.
»Zweifellos ein wertvoller Schatz, den ihr bestimmt an einem sicheren Ort versteckt habt«, mutmaßte der Mönch. »Aber das interessiert mich alles gar nicht. Ich habe dem weltlichen Reichtum bereits vor vielen Jahren entsagt. Erzähl mir lieber von dem Brief und dem goldenen Petschaft. Habt ihr das Siegel aufgebrochen?«
»Durlib hat es getan, und zwar hiermit«, erklärte Grimpow und zog den mit Edelsteinen besetzten Dolch unter seinem Kittel hervor. »Der Brief war voller Schriftzeichen, die weder Durlib noch ich entziffern konnte. Keiner von uns beiden kann lesen und schreiben.« Das war zwar zur Hälfte gelogen, aber auf diese Weise konnte er den Inhalt des Briefes für sich behalten.
Beim Anblick des Dolchs weiteten sich die Augen des alten Mönchs, als wartete er schon seit Jahrzehnten auf das, was Grimpow ihm da erzählte.
»Dieser mit Saphiren und Rubinen besetzte Dolch gehört zweifellos einem Tempelritter«, erklärte der Mann erstaunt.
»Trägst du nicht auch den Brief bei dir?«, setzte er mit ernster Erwartung in seinem faltigen Gesicht hinzu.
»Den haben wir in der Satteltasche beim goldenen Petschaft gelassen.«
»Macht nichts, macht nichts. Alles passt mit der gleichen Präzision zusammen, mit der jede Nacht die Sterne am Firmament erscheinen«, murmelte er vor sich hin.
»Wie meint Ihr das?«, fragte Grimpow.
»Ach nichts. Ich habe nur laut gedacht«, antwortete Bruder Rinaldo gedankenverloren.
Grimpow war überrascht, dass der Mönch nicht wissen wollte, wo Durlib und er den Schatz versteckt hatten. Das bestätigte ihm, dass Bruder Rinaldo tatsächlich nicht an den Silbermünzen und dem Schmuck interessiert war.
»Was ist mit der alten Legende, die Ihr mir erzählen wolltet?«, fragte Grimpow, um den alten Mann aus seinen Grübeleien zu reißen.
Bruder Rinaldo schloss für einige Sekunden die Augen, als schickte er sich an, in die Tiefen seines Gedächtnisses hinabzusteigen, um darin nach den fernen Ursprüngen der Legende um die geheimnisvollen Tempelritter zu suchen. Dann öffnete er langsam die wimpernlosen Augen.
»Im Jahr 1118 reisten neun französische und flämische Ritter, die das Ritterleben leid waren und sich für ein Leben im Kloster entschieden hatten, nach Jerusalem. Sie suchten König Balduin II. in der Absicht auf, die christlichen Pilger zu schützen, die seit dem ersten Kreuzzug in Scharen ins Heilige Land strömten, um dem Grab Christi ihre Ehre zu erweisen. Dort angelangt, ließen sie sich im ehemaligen Tempel König Salomons nieder, wo sie lange Zeit blieben. Sie übten sich in der Versenkung und beteten, auch wenn der Legende zufolge ihre wahre Mission darin bestand, in den Ruinen des Gotteshauses einem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Auf dieses Geheimnis waren die Kreuzritter in uralten Handschriften gestoßen, die sie nach der Eroberung Jerusalems gefunden hatten. Angeblich konnte es denjenigen, die es lüfteten, die Weltherrschaft und sogar Unsterblichkeit einbringen. Neun Jahre nach der Ankunft der neun Ritter im Salomonischen
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