Grimpow Das Geheimnis der Weisen
der Templer in der vergrabenen Satteltasche befinden konnte.
»Außer der Sache mit dem Geheimnis aus dem Tempel Salomons ist alles, was ich dir gerade erzählt habe, so wahr wie die Tatsache, dass wir zu dieser nächtlichen Stunde wach sind. Das ist Geschichte, keine Legende«, antwortete er.
Auf einmal fiel Grimpow etwas auf, was er bis zu diesem Augenblick nicht bedacht hatte.
»Ihr wart ein Tempelritter, bevor Ihr Euch in diese Abtei zurückgezogen habt, nicht wahr?«, fragte er.
Auf dem Gesicht des alten Mönchs zeichnete sich Unruhe ab. Er kniff die Augen zusammen und ließ den Blick über die Handschriften in den Regalen schweifen.
»Ganz recht, das war ich einmal, aber es ist schon so viele Jahre her, dass mein schwerfälliges Gedächtnis die Auskunft verweigert, warum ich mich davon abgewandt habe«, räumte er ohne Kummer ein.
»Vielleicht denkt Ihr nicht gern daran zurück, was Ihr damals getan habt«, mutmaßte Grimpow.
»Schon möglich«, erwiderte der Mönch und sah den Jungen an, als betrachtete er einen Propheten.
Grimpow nahm wahr, dass Bruder Rinaldos Hände zitterten, was dieser zu überspielen versuchte, indem er sie in den Schoß legte. Nach einem Moment tiefen Schweigens erzählte er von den Wechselfällen seines Lebens, seit er als Junge, kaum älter als Grimpow, in die Komturei eingetreten war. Sie wurde von den Tempelrittern in seiner kleinen Geburtsstadt Metz in Lothringen im Nordosten Frankreichs unterhalten, und er kam auf Empfehlung eines Onkels hin, der damals dort Komtur war.
Seit seinem sechzehnten Geburtstag hatte er im Heiligen Land gelebt und dort die Templerburgen von Safed, Tripolis, Damaskus, Gaza, Galiläa, Damietta und Akkon mit dem Schwert gegen die Ungläubigen verteidigt. Zusammen mit Ludwig IX. hatte er am siebten und achten Kreuzzug teilgenommen. Der König von Frankreich hatte die christlichen Heere angeführt und war 1270 mit weiteren Mitgliedern der Königsfamilie vor den Toren von Tunis an der Pest gestorben.
»Im selben Jahr hatte ich den Anblick all der Leichen, all der verstümmelten Körper und des vergeblich im Namen Gottes vergossenen Blutes satt und beschloss, mich von der Welt, ihrer Grausamkeit und ihrem Elend abzuwenden. Ich suchte Zuflucht in der abgelegenen Abtei Brinkum, ohne andere Absichten als die, den Rest meines Lebens mit dem Studium der wertvollen Handschriften ihrer umfangreichen Bibliothek zuzubringen. Die Bücher, die du hier siehst, hat die Kirche allesamt verboten, sie werden seit Jahrhunderten an diesem Ort aufbewahrt. Hier sind sie vor den neugierigen Blicken der Mönche sicher«, schloss er mit einem Seufzer.
»Habt Ihr sie alle gelesen?«, fragte Grimpow und blickte sich verwundert um.
»Jedes einzelne«, antwortete er stolz. »Sie enthalten so viel Weisheit, dass selbst mir oft Zweifel an der Existenz Gottes gekommen sind.«
»Ich verstehe Euch nicht«, erwiderte Grimpow.
»Wenn die Vorstellung von Gott als dem Schöpfer des Himmels und der Erde uns dazu dient, die Dinge um uns herum zu erklären, fällt es schwer, an ihn zu glauben, sobald man den Himmel und die Erde aus sich selbst heraus erklären kann. Viele Weise haben dies ansatzweise erreicht, und ihre durchdachten Theorien stehen in diesen wunderbaren Büchern, die die Inquisition als ketzerisch bezeichnet. Aber selbst wenn ich Gottes Existenz nicht in Zweifel ziehe, werde ich nie wieder an den kriegerischen, unbarmherzigen Gott glauben, den die Päpste, Könige und Kaiser verehren, um ihre Habgier zu befriedigen«, erklärte er erregt. »Als ich aus dem Heiligen Land zurückgekehrt bin, habe ich festgestellt, dass viele Bettelmönche Barmherzigkeit und Armut predigten und deshalb verfolgt und eingesperrt wurden. Sogar die ersten Tempelritter verschrieben sich während ihres langen, neun Jahre währenden Aufenthalts in Jerusalem Armut und Weisheit. Aber die Gründung des Ordens und der Lauf der Zeit machten sie zu Kriegern, die genauso ehrgeizig und hochmütig waren wie ihre heutigen Feinde. Nur einige wenige blieben ihren Vorsätzen treu und wurden zu den einzigen Erben des Geheimnisses der neun Ritter vom Tempel Salomons. In der Legende, die ich dir erzählt habe, werden diese Tempelritter, die nie das Schwert erhoben haben, >die Auserwählten< genannt.«
»Wieso?«, fragte Grimpow, an der neuen Richtung interessiert, die seine Unterhaltung mit dem alten Mönch nahm.
»Ein Auserwählter zeichnet sich durch seine Wissbegier aus, die ihn nicht eher ruhen lässt, als
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