Grimpow Das Geheimnis der Weisen
Tempel kehrten sechs von ihnen nach Frankreich zurück, und zwar mit einem riesigen Wagen, der viele Menschen zu der Vermutung veranlasste, sie hätten ihre Mission erfolgreich abgeschlossen.«
Völlig gefesselt von dieser Legende unterbrach Grimpow Bruder Rinaldos Bericht. »Haben sie das Geheimnis, hinter dem sie her waren, denn gelüftet?«, fragte er.
»Das hat man nie eindeutig feststellen können. Aber viele behaupteten damals, die Ritter vom Tempel Salomons seien mit der Bundeslade, der die Bibel eine übernatürliche Macht zuschreibt, nach Frankreich zurückgekehrt und hätten sie erneut an einem unbekannten Ort vor den Augen der Menschheit verborgen. Andere waren indes überzeugt, dass die neun Ritter in Wirklichkeit in den Stallungen des Salomonischen Tempels den Heiligen Gral gefunden hatten.«
»Den Heiligen Gral?«
»Der Heilige Gral ist der Kelch, aus dem Christus beim Abendmahl den Wein getrunken hat«, erklärte er. »Dieser sagenhafte Becher besaß angeblich wundersame Eigenschaften, die jegliches menschliche Vorstellungsvermögen übersteigen.«
»Stimmt das wirklich?«, fragte Grimpow, denn er ahnte, dass sein Stein etwas ganz anderes war als das, wovon der alte Mönch da erzählte.
»Das weiß ich nicht«, räumte der Mönch ein. »Fest steht nur, dass der Templerorden kurze Zeit später aus Tausenden von Mönchssoldaten bestanden, sich rasch in ganz Europa ausgebreitet und in jedem Reich eine Vielzahl von Komtureien, Kirchen und Burgen errichtet hat. Die Tempelritter gelangten zu so viel Macht und Reichtum, dass sogar die Könige ernsthaft geglaubt haben, sie hätten einen Schatz von unvergleichlichem Wert entdeckt.«
»So reich und mächtig waren sie?«, fragte Grimpow neugierig »Ja, sie waren sogar reicher und mächtiger als je ein König oder Kaiser«, antwortete Bruder Rinaldo.
»Warum werden sie dann jetzt verfolgt?«
»Ich habe die Geschichte von einigen Brüdern erfahren, die aus Paris in die Abtei gekommen sind. Demnach ließ sich der französische König Philipp IV., der trotz seiner Hässlichkeit und seines Eulengesichts den Beinamen der Schöne trug, von Habgier und Grausamkeit blenden. Vor sechs Jahren befahl er seinen Soldaten, alle Tempelritter in seinem Reich gefangen zu nehmen. Damit verfolgte er die unrühmliche Absicht, sich ihrer Burgen zu bemächtigen, ihnen ihre Schätze zu rauben und ihre Geheimnisse zu lüften. Hunderte von kampferprobten Tempelrittern wurden eingesperrt, gedemütigt und zu Tode gefoltert. Man klagte sie zu Unrecht an, Christus zu verleugnen, auf das Kreuz zu spucken und einen Teufelsgötzen namens Baphomet anzubeten. Viele Templer gestanden unter den entsetzlichen Qualen der Inquisition ihre Schuld und endeten später erbarmungslos auf dem Scheiterhaufen. Selbst Papst Clemens V. bat sämtliche christlichen Herrscher aus Furcht vor dem Zorn des französischen Königs, alle Templer zu verfolgen, die sich auf ihrem Territorium versteckten, anstatt sich für diejenigen einzusetzen, die seinen Vorgängern bei den Kreuzzügen fast zwei Jahrhunderte lang zur Seite gestanden hatten.«
»Hat der Inquisitor deshalb den Tempelritter bis in die Berge verfolgt?«, fragte Grimpow. Er glaubte, alles verstanden zu haben, was der alte Mönch ihm erzählte, und stellte zufrieden fest, dass er mit seiner Vermutung richtig gelegen hatte.
»Einerseits ja. Aber soweit ich heute Nacht das Gespräch des Dominikaners Burumar de Gostelle mit dem Abt verfolgt habe«, antwortete der Mönch und rutschte unruhig auf dem Sitz herum, »hat der letzte Großmeister der Templer, Jacques de Molay, der nach wie vor mit anderen Komturen des Ordens im Turm des Pariser Templergebiets gefangen gehalten wird, ein Geständnis abgelegt. Er sagte seinen Peinigern, dass das Geheimnis des Salomonischen Tempels nur einem kleinen Kreis von Weisen bekannt war. Niemand hat es je zu Gesicht bekommen, nicht einmal er selbst.«
»Ihr glaubt also, dass der unbekannte Edelmann etwas mit diesem Geheimnis zu tun hatte?«, fragte Grimpow, um wieder Klarheit in seine Gedanken zu bringen.
»Burumar de Gostelle ist davon überzeugt, dass es sich so verhält«, versicherte Bruder Rinaldo. »Und nach dem verschlüsselten Brief und dem goldenen Petschaft zu urteilen, das dein Freund Durlib und du bei dem Mann gefunden habt, zweifle auch ich nicht daran«, fügte er hinzu.
»Aber was, wenn die Legende erfunden ist?«, forschte Grimpow, denn er wollte nicht zugeben, dass sich der Schlüssel zu dem Geheimnis
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