Grimpow Das Geheimnis der Weisen
wirre Rätsel zu lösen und die Bedeutung des Achtecks und damit auch der acht Burgen des Steinkreises herauszufinden?«, fragte er, ohne den Blick von der geometrischen Figur abzuwenden.
»All das ist mir gelungen, nachdem ich hier in diesem Geheimkabinett einige Handschriften gelesen hatte. Mir war schon immer der achteckige Grundriss vieler Türme und Kirchen des Templerordens aufgefallen und ich wollte den Grund dafür in Erfahrung bringen. Anschließend musste ich meine Erkenntnisse nur noch auf die Burgen übertragen.«
»Und als Tempelritter habt Ihr das nicht gewusst?«
»Ein Tempelritter wie ich, der sich aufgrund seines Eids ganz dem Krieg und dem Gebet widmet, hat nur Befehle zu befolgen und darf keine Fragen stellen. Ehe ich in diese Abtei kam, war ich auch nicht darauf bedacht, mir ein wie auch immer geartetes Wissen anzueignen, sofern es nicht den Gebrauch der Lanze, des Bogens oder des Schwertes betraf.«
Während der alte Mönch sprach, dachte Grimpow unaufhörlich daran, dass die Lösung für das ganze Geheimnis wahrscheinlich in dem seltsamen Stein lag. Er wollte Bruder Rinaldo davon erzählen, aber eine innere Stimme riet ihm, dieses Geheimnis vorerst für sich zu behalten. So wie auch die neun Tempelritter das Geheimnis bewahrt hatten, auf das sie vor über zweihundert Jahren gestoßen waren.
»Warum taucht das Wort >Stein< in dem Namen der Burgen des Steinkreises auf?«, fragte Grimpow, um mehr über das seltsame Amulett zu erfahren.
»Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht. Aber vermutlich weil die Steine ihrer Türme und Mauern so hart waren«, antwortete der alte Mönch wenig überzeugt.
»Alle Burgen sind aus Stein«, widersprach Grimpow dieser oberflächlichen Begründung.
»Du hast recht, mein Junge, aber die Antwort auf diese Frage - wenn es sie denn gibt - wirst du in den verbotenen Aufzeichnungen und Handschriften selbst suchen müssen. Nutze die Zeit, die du zwangsläufig hier drinnen zubringen musst. Im Regal hinter dir«, sagte er, während er mühsam aufstand und mit dem Zeigefinger hinter sich deutete, »findest du eine Vielzahl von Büchern über Mineralogie und Alchimie. In einigen geht es auch um den Stein der Weisen. Vielleicht findest du darin eine vernünftige Antwort auf deine Frage. Viele Templer waren große Alchimisten und haben diese schwierige Kunst in den langen Jahren ihres engen Zusammenlebens mit den Arabern im Heiligen Land erlernt. Manche behaupten sogar, der Templerorden hätte seine Reichtümer und Schätze durch die Verwandlung einfacher Metalle in Silber und Gold erlangt. Aber diese Dinge haben mich nie interessiert und ich habe auch nie daran geglaubt.«
»Was, wenn genau das ihr Geheimnis wäre?«, fragte Grimpow. Dass der Mönch den Stein der Weisen erwähnte, hatte ihn erst recht neugierig gemacht.
»Dann solltest du dich nicht bemühen, es in Erfahrung zu bringen, denn wenn es dir gelingt, willst du es wahrscheinlich nicht mehr zerstören. Die Versuchung des Goldes ist weit tückischer als der Teufel«, antwortete der alte Mann nüchtern. »Ich muss jetzt fort, es geht auf Mittag zu und ich will weder die Sext noch das Essen verpassen. Ich komme wieder, sobald der Inquisitor und die Soldaten des Königs von ihrem Ausflug zurückgekehrt sind. Dann erzähle ich dir, was mit deinem Freund Durlib geschehen ist.«
»Versprecht, mir die Wahrheit nicht zu verschweigen, so hart sie auch sein mag«, bat ihn Grimpow.
»Ich würde dich nie belügen«, erwiderte der Mönch. »Aber ich bin sicher, dass du mir noch nicht alles erzählt hast, was du weißt.«
Grimpow errötete und starrte verlegen auf den Boden, um dem kalten Blick des Mönchs auszuweichen.
»Ich befürchte, dass Bruder Brasco sich betrinkt und dem Dominikaner von meinem Aufenthalt in der Abtei erzählt. Auch er hat den Tempelritter gesehen, als er in die Berge ritt. Allerdings hielt er ihn für ein Gespenst, das seine Sünden sühnt, weil es ziellos im Nebel umherritt wie eine Seele im Fegefeuer«, brachte er zu seiner Entschuldigung vor.
»Bruder Brasco kann seine Zunge sehr wohl im Zaum halten. Vor allem, wenn er fürchtet, man könnte sie ihm abschneiden, sobald er davon Gebrauch macht«, gab der alte Mönch zurück und lachte schallend. Dann verließ er den Raum, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Keno kam nur kurze Zeit später mit einem Strohsack, mehreren Decken und reichlich Essen wieder. Wie es seiner Gewohnheit entsprach, begnügte er sich damit, alles wortlos neben die
Weitere Kostenlose Bücher