Grimpow Das Geheimnis der Weisen
zwinkerte Grimpow zu, um ihm zu bedeuten, dass er schon einen Weg finden werde, alles zurückzubekommen, was ihnen die Räuber entwendet hatten.
Eine Zeit lang schritten sie halb nackt in Richtung Westen, wo die Sonne allmählich hinter grauen Wolken unterging, die von einem fernen Gewitter kündeten. Allerdings wurde der Wald bei jedem Schritt undurchdringlicher, bis die Äste über ihren Köpfen schließlich ein dichtes Geflecht bildeten. Die Räuber verboten ihnen, miteinander zu sprechen, aber Salietti näherte sich Grimpow und fragte ihn flüsternd, ob er diesen Wegelagerer namens Drusus der Blutrünstige wirklich kenne.
Grimpow nickte, um die Räuber, die ihre Schritte und jede Bewegung überwachten, nicht auf sich aufmerksam zu machen. Er wusste nur zu gut, wer Drusus der Blutrünstige war. Dieser abscheuliche Spitzname war nicht nur seines Rufs als erbarmungsloser Räuber mehr als würdig, sondern spiegelte auch die Grausamkeit wider, mit der er seinen Opfern zu Leibe rückte. Meist schlitzte er ihnen mit seinem scharfen Schlachtermesser von oben bis unten den Bauch auf und ließ sie anschließend ausbluten wie Schweine. Sein Freund Durlib hatte einst Drusus' Bande angehört, sie jedoch wegen der immer gewalttätigeren und blutrünstigeren Raubzüge irgendwann wieder verlassen. Ihre Meinungsverschiedenheiten hatten in einem Schwertduell gegipfelt, bei dem Drusus schwer verletzt wurde und Durlib Rache schwor. Dabei hatte dieser sein Leben geschont, nachdem er ihn entwaffnet hatte und Drusus ihm ausgeliefert war. Seither hatten sie sich nie wieder getroffen.
Durlib hatte Grimpow erzählt, Drusus habe als Junge seinen Herrn mit einem Pfeilschuss ins Herz getötet, weil er ihn während einer Fuchsjagd dafür geohrfeigt hatte, dass er die Hunde losgelassen hatte, bevor man es ihm befohlen hatte. Drusus konnte entkommen und flüchtete sich in den Wald, aber als er nachts in sein Dorf zurückkehrte, fand er seine Eltern und seine beiden jüngsten Geschwister mit ausgestochenen Augen und heraushängenden Gedärmen an der Tür seines elenden Zuhauses hängen. Völlig außer sich schloss Drusus sich einer Bande von aufständischen Bauern an und wurde mit der Zeit zum Anführer einer vielköpfigen Schar aus Dieben, Bettlern, abtrünnigen Mönchen, Mördern und Geächteten. Sie plünderten Kirchen, Klöster, Dörfer, Höfe und kleine Burgen, brannten Landgüter und Felder nieder und versetzten Reisende und Pilger in Angst und Schrecken, indem sie sie erbarmungslos vierteilten und ihre Leichen am Wegrand liegen ließen.
Auf einer Waldlichtung sahen sie ein Lagerfeuer brennen, und sogleich drang der Geruch nach dem gebratenen Fleisch von zwei Rehen zu ihnen, die über dem Feuer hingen. In der Nähe waren einige Hütten aus Tierfellen und trockenen Ästen zu sehen und von überall her kamen ihnen mit langen Stöcken und großen Bögen bewaffnete Männer entgegen. Manche lachten und machten sich über das Aussehen der Neuankömmlinge lustig, andere musterten sie mit einfältiger Neugier, als hätten sie noch nie einen gefesselten Adligen mit seinem Knappen gesehen.
Salietti nahm an, dass Drusus als Erster auf sie zukam, denn er trug einen zerschlissenen blutroten Seidenumhang, und auf seinem verfilzten Schopf saß eine windschiefe, verrostete Blechkrone, die ihm das stolze Aussehen eines entthronten Königs verlieh. Ein Teil seines Gesichts war verbrannt, auch wenn ein dichter weißer Bart die tiefen Narben verbarg.
Grimpow hatte ihn sich jünger vorgestellt, vielleicht in Durlibs Alter, aber er sah aus wie ein in die Jahre gekommener Mann, dessen Muskeln noch die Kraft der verlorenen Jugend enthielten. Seine Augen waren so kalt und schwarz, dass sie jedem den ganzen Hass ins Gesicht zu speien schienen, den Drusus seit der Ermordung seiner Familie in sich aufgestaut hatte.
»Ihr betrachtet Euch als König und behandelt einen Ritter auf diese Weise?«, warf ihm Salietti an den Kopf, sobald er vor ihm stand.
»Die Gesetze dieses Königreichs haben nichts mit jenen des Rittertums zu tun. In diesem Wald gibt es keine anderen Regeln als die der wilden Tiere, und Ihr seid jetzt wie ein umzingeltes Reh, das nur darauf wartet, von den Wölfen gefressen zu werden. Genau das sind wir: wilde Wölfe, die jeden Menschen fressen, der es wagt, den Wald von Opernaix zu betreten. Wie Ihr sehen könnt, bin ich der König des Rudels und das hier sind meine treuen Vasallen«, erwiderte Drusus höhnisch und ließ den Blick über die
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