Grimwood, Ken - Replay
Charakter der von ihnen angestellten Küchenhilfe angenommen als ihren eigenen. Diese Küche nun trug den Stempel ihrer eigenen Persönlichkeit, oder zumindest der Persönlichkeit, die sie beim ersten Durchgang gewesen war.
Auf dem Tisch lag ein aufgeschlagener Roman von Barbara Cartland, und daneben ein Exemplar von Better Homes and Gardens. Verschiedene Notizen und Nachrichten an sich selbst waren mit kleinen Magneten, die wie winzige Kornähren oder Selleriestangen geformt und bemalt waren, an der Kühlschranktür befestigt. Eine Zeichnung, die sie von den Kindern angefertigt hatte – ordentlich ausgeführt, doch ohne die Raffinessen der Schattierung und Komposition, die sie während der Jahre der Praxis in anderen Leben erworben hatte –, war an einen der Schränke geklebt. Ein großer Küchenkalender hing über dem Tisch. Er war bis März 1984 umgeblättert, und die Tage waren bis fast zum Monatsende hin säuberlich durchgestrichen. Pamela war vierunddreißig. Ihre Tochter Kimberly würde gerade acht werden; Christopher wäre elf.
Sie legte den Kaffeefilter beiseite, wollte die Küche verlassen, hielt jedoch inne und lächelte, als sie sich an etwas erinnerte. Sie öffnete eine der unteren Schubladen unter der Anrichte, wühlte hinter den Mehl- und Reisschachteln… Und, na bitte, da war er, genau dort, wo sie ihn immer versteckt hatte: ein verschlossener Plastikbeutel mit fast einer Unze Gras und einem Päckchen E-Z Wider-Zigarettenpapier darin. Ihr einsames Laster in jenen Tagen, ihr einziges wirkliches Fluchtmittel aus der Eintönigkeit der Hausarbeit und der Mutterschaft.
Pamela legte das Marihuana dorthin zurück, wo sie es gefunden hatte, und ging ins Wohnzimmer. Die Familienfotos waren dort aufgehängt, zusammen mit zwei ihrer Gemälde vom College. Die Ansätze, die sie hatten erkennen lassen, waren innerhalb dieser Lebensspanne niemals entwickelt worden. Warum hatte sie ihr Talent bloß brachliegen lassen?
Von oben kam gedämpfte Musik: Cyndi Laupers karikierend hüpfende Stimme, die »Girls Just Want to Have Fun« sang. Kimberly mußte von der Schule zurück sein; Christopher würde wahrscheinlich in seinem Zimmer sein und mit dem Apple II-Computer spielen, den sie ihm zu Weihnachten gekauft hatten.
Sie setzte sich in den Sessel in der Diele, nahm einen Kugelschreiber und einen Notizblock vom Telefontischchen und wählte die Auskunft von New York City. Es gab keine Eintragung für einen Jeff oder Jeffrey Winston in Manhattan oder Queens. Auch keine Linda oder L. Winston. Es war bloß ein Versuch gewesen; es bestand kein Grund zu der Annahme, er könnte wieder in New York leben. Pamela versuchte es erneut bei der Auskunft, diesmal in Orlando. Seine Eltern waren aufgeführt. Sie rief sie an, und Jeffs Mutter nahm den Hörer ab.
»Hallo, mein Name ist Pamela Phillips, und…«
»Ach, du meine Güte! Jeff sagte uns, daß Sie versuchen würden, mit ihm Kontakt aufzunehmen, aber mein Gott, das ist schon eine Ewigkeit her. Drei Jahre, glaube ich, vielleicht sogar vier.« Die Stimme der Frau wurde leiser, als sie sich vom Mundstück offenbar abwandte und beiseite sprach: »Liebling! Das Phillips-Mädchen ist dran, von dem Jeff meinte, daß es vielleicht anrufen würde, weißt du noch? Könntest du mir den Umschlag raussuchen, den er geschickt hat?« Sie sprach wieder in den Hörer. »Pamela? Warten Sie bloß eine Minute; wir haben eine Nachricht von Jeff für Sie. Mein Mann holt sie gerade.«
»Danke. Könnten Sie mir sagen, wo Jeff ist, wo er jetzt lebt?«
»Er ist in Kalifornien, in einer kleinen Stadt – jedenfalls ganz in der Nähe davon, sagt er – namens Montgomery Creek, nahe Oregon.«
»Ja«, sagte Pamela. »Ich weiß, wo das liegt.«
»Er sagte, Sie wüßten es. Wissen Sie, es gibt nicht einmal ein Telefon dort draußen, können Sie sich das vorstellen? Wenn ich daran denke, was mit ihm bei einem Notfall passieren könnte, wird mir ganz schlecht vor Sorge, aber er sagt immer, er hätte ein Kurzwellenfunkgerät für solche Fälle. Ich weiß einfach nicht, was über ihn gekommen ist, ein erwachsener Mann, der seinen Job aufgibt und seine Frau verläßt und… Oh, es tut mir ja so leid. Ich hoffe, ich hab’ keinen Unsinn geredet, weil…«
»Ist schon in Ordnung, Mrs. Winston. Wirklich.«
»Jedenfalls war es eine äußerst merkwürdige Angelegenheit. So eine Dummheit würde man bei einem College-Jungen erwarten, aber bei einem Mann seines Alters – nicht mehr lange, und er wird vierzig,
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