Grippe
Pochen, diesmal fester und schneller. Jeder Schlag ließ sie beben. Waren es die Toten, die urplötzlich eine unbändige Mordlust überkommen hatte? Brachen die Monster ein, um sie alle im Schlaf zu zerreißen?
Rasch schälte sie sich aus den Laken, zog T-Shirt und Jeans an, ehe sie das Zimmer verließ. Auf dem Flur stieß sie auf Lark, der am Treppenabsatz stand. Sein Profil wirkte gruselig im Dunkeln, hager und dürr wie der Sensenmann persönlich. Als er sie bemerkte, blickte er auf – wie immer mit düsteren Augenringen. Auch er sah noch müde und wirr aus.
»Was ist los?«, fragte sie, doch er hielt einen Finger vor die Lippen, auf dass sie schwieg.
Sie trat leise zu ihm ans Geländer und folgte seinem Blick, der unten auf der Haustür ruhte. Diese kam ihr mit einem Mal so fragil vor, dass sie nicht begriff, weshalb sie sich darauf verlassen hatten, dass sie die Toten fernhielt. Das Holz drohte wirklich, mit jedem der wuchtigen Schläge aufzuspringen.
Sie beobachtete, wie Norman, der stämmigere der beiden Cops, mit gezogener Waffe unten durch den Flur kam. Er spähte zu ihnen herauf. Lark schüttelte vehement den Kopf, er solle bloß die Tür geschlossen halten. Norman hingegen grinste bloß schalkhaft.
Entsetzt sahen sie zu, wie der Bulle den Schlüssel umdrehte und die Tür aufzog. Sein Bärenarm langte durch den Spalt und zerrte ein verschrecktes Männlein in den Flur. Sogleich schlug er die Tür zu und sperrte wieder ab.
»Ganz, ganz schlechte Idee«, keuchte Lark melodramatisch.
Er wirkte jung, trotz Gesichtsbehaarung und mit einer teerartigen Dreckschicht auf der Haut. Seine Züge waren kohlrabenschwarz, Staub und Schmand der dahinsiechenden Stadt klebten wie Ruß an den Lippen. Dass er seit Wochen weder eine Dusche gesehen noch die Kleidung gewechselt hatte, war allzu offensichtlich. Der dicke Mantel, in den er sich hüllte, war ebenfalls über und über beschmutzt, als könne er aufrichtig von dem Drangsal kündigen, das er und sein Träger zweifellos gemeinsam in der Hölle dort draußen durchgemacht hatten. Die Augen des Kerls starrten furchtsam, sein verhärmter, unterernährter Körper versank eher auf dem Stuhl, statt aufrecht sitzenzubleiben.
Die anderen umringten ihn am Küchentisch. Er kauerte am Kopfende wie während einer bizarren Fragerunde. Norman übernahm das Wort, zumal sich der Neuankömmling auf ihn versteift hatte, wohl weil er von ihm aus dem Inferno gezogen worden war. Dies verwandelte Norman in einen ehrfurchtgebietenden Mann, dem er zu Respekt und Dank verpflichtet war.
»Wie heißt du, Söhnchen«, fragte der Große mit einem stechenden Blick, der keine Mätzchen zuließ. In dieser Situation konnte die Präsenz des Cops nichts weniger als einschüchternd wirken.
»P-Paddy«, schnatterte der Kleine und schaute hektisch von einem zum anderen.
»Und woher wusstest du, dass wir hier sind?«, fragte Norman.
Paddy schlotterte. Er rang nach Worten, fand jedoch nicht die richtigen.
»Wir tun dir nicht weh, Paddy; bloß was mit dir passiert ist, würden wir gern wissen«, beschwichtigte George, um der Direktheit seines Partners beim Verhör ein wenig die Schärfe zu nehmen. Diese Schiene – von wegen guter Bulle, böser Bulle – war ihm peinlich, weil sie so vorhersehbar wirkte und einem Klischee entsprach, selbst wenn sie funktionierte. Jedenfalls schienen seine Worte den vom Donner gerührten Überlebenden am Tisch zu ermutigen, obwohl er weiterhin gebeugt dasaß, wohl weil ihm die nächtliche Kälte noch in den Knochen steckte.
George bat McFall, ihm einen Tee zu machen. Paddy starrte, als sich der Maskierte erhob.
»Mach dir keinen Kopf wegen dem.« Norman lachte. »Ist nicht so gefährlich, wie er aussieht. Fuck, im Gegenteil!«
McFall schwieg indes, hielt den selben Teebeutel, den er schon viele, viele Male benutzt hatte, in eine Tasse und füllte sie halb mit heißem Wasser aus dem Campingkocher. Als er das Getränk vor Paddy auf den Tisch knallte, fuhr dieser vor Schreck hoch.
»Jesus«, stöhnte Sturmhaube. »Mach mal locker, Junge. Ist nur Tee, oder?«
»Lass ihn in Ruhe«, mahnte Geri. »Er hat bestimmt eine Menge hinter sich.«
»Ist schon o-okay«, wisperte Paddy. »Ich weiß, dass ich wie ein Psychopath aussehe, aber draußen ist es wirklich übel. Es verdreht einem den Kopf, wenn man zu lange dort bleibt.«
»Wo genau bist du gewesen?« Norman versuchte, seine amtliche Befragung wieder aufzugreifen.
Paddy hob die Teetasse mit zittrigen Händen an
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