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Grippe

Grippe

Titel: Grippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wayne Simmons.original
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schon häufig anhören müssen, und die Vertrautheit des Schimpfwortes beruhigte ihn fast. Er hob den Arm um sie zu beschwichtigen. Sie trat einen Schritt zurück.
    »Wollen Sie mich erschießen?«, rief sie. Ihre ausgestreckte Hand zitterte.
    »Was?«, fragte er verdutzt. Er wollte es tatsächlich. Ja, mit einem Mal hätte er sie alle am liebsten kaltgemacht – die Alte, die Bluthunde draußen, die Handyfrau und den Kerl in der Glotze. Es war eine instinktive Reaktion, geboren aus Furcht. Wollte er sich vielleicht die Kugel geben?
    » Natürlich nicht«, antwortete er und ließ von ihr ab, als hätte er Angst, es doch zu tun. »Wir möchten bloß, dass Sie sich beruhigen.«
    »Sie haben hier nichts zu suchen«, blaffte sie. Ihre Hände bewegten sich fahrig, wohingegen ihr Blick auf der Wand ruhte. »Er ist tot, verstehen Sie? Hauen Sie einfach ab.«
    »Tot? Wer?« Norman schaute sich um, während sie eine Antwort vorenthielt. Sie wirkte gedankenverloren und schlotterte mittlerweile am ganzen Körper wie Espenlaub. George ahnte, dass Wut und Trauer gleichermaßen an ihrer Seele nagten, denn genau dies strahlte sie aus – wie eine gleißende Fackel, die alles, was mit ihr in Berührung kam, in Brand setzte und verzehrte. Ein Teil von ihr war eventuell erleichtert, jemanden für alles verantwortlich machen, den ganzen Frust endlich abwälzen zu können. So plötzlich, wie ihre Tränen aufwallten, kam es einem Vulkanausbruch gleich; »Raus! Sofort raus!«
    »Hören Sie, wir müssen kurz Ihr Telefon benutzen, um die Wache zu verständigen«, bat George.
    »Nein«, entgegnete sie, »Frank liegt im Wohnzimmer.«
    » Wer ist Frank?«, fragte er ebenso ratlos wie zornig. War es denn nicht möglich, dass nur ein einziger Mensch heute etwas Sinnvolles von sich gab? Wie Raubtiere schabten sie draußen an der Tür. Das machte George nicht eben ruhiger; sein Atemgerät pumpte schneller und lauter. Sie wollten Blut. Sein Blut. Die Situation schien ausweglos, ein Aufschub unmöglich. Dennoch: George musste unbedingt hier raus.
    Er verschaffte sich trotz der Proteste der Frau Zugang zum Wohnzimmer. Den Fernseher hatte sie laut aufgedreht, sodass man den Aufruhr draußen nicht mehr hörte. Der Raum war mit Blumenmustern tapeziert und voller alter, staubiger Möbel. Neben der Mattscheibe standen ein paar Porzellanfiguren wie Wachhunde. Ein Beistelltisch aus Mahagoni schien ihr ganzer Stolz zu sein, weil er sich glänzend poliert von allem Übrigen abhob. Daneben das Sofa: blutverschmutzt und schweißnass wie ein Haufen Lumpen. Darauf lag ein ältlicher Mann, sehr wahrscheinlich Frank. Dass er nicht mehr lebte, war eindeutig. Er spiegelte das typische Krankheitsbild im Endstadium wider: blutiger Schleim um Nase und Mund, ausdrucksloser Blick ins Nichts und keine Atembewegung. Ein Arm hing erschlafft über der Lehne.
    »W-wann ist Frank gestorben?«, stotterte Norman verstört. Der Fels in der Brandung war immer noch erschüttert wegen des kleinen Mädchens und der Geschehnisse im Treppenhaus.
    All dies hatte den ach so unverdrossenen Mann gebrochen.
    » Vor etwa einer Stunde«, antwortete sie, immer noch unter Tränen. Ihre schmalen, sehnigen Hände hielten ein blutiges Tuch fest, als sei es aus Gold. Damit hatte sie wohl ihren Frank abgeputzt. George konnte nur schätzen, wie lange die beiden zusammengelebt hatten. An der Wand hing ein Foto, vermutlich von ihrer Hochzeit und Jahrzehnte alt. Dies hier war ihr Reich, eine muffige, alte Wohnung voller Bilder, Flitter und Erinnerungen. Auch an das Tuch klammerte sie sich – an alle Dinge, die sie für wichtig und wertvoll erachtete. Während die Welt im Begriff war, den Bach hinunterzugehen, hatte ihre eigene schon längst keinen Bestand mehr.
    Auf dem Flur hämmerte man fester an die Wohnungstür, was George trotz der Flimmerkiste hörte. Es klang wie die Marschtrommel einer einfallenden Totenarmee. Er drehte sich um und schaute den kurzen Flur hinunter auf die allmählich nachgebende Tür. Weitere Schüsse fielen, durch wessen Hand auch immer. Holz splitterte, und er schaute entsetzt zu, wie es einbrach, da man die Tür wiederholt rammte. Die Kette ging wie Nähgarn entzwei.
    Dann jedoch geschah etwas sehr Befremdliches: George nahm im Augenwinkel eine rasche Bewegung wahr. Er fuhr zur Couch herum, soweit sein klobiges Gepäck dies erlaubte, und bekam gerade mit, wie sich Frank von seinem Sterbebett erhob. Die Decken fielen ihm wie tote Schlangen vor die Füße.
    »Jesus!«, rief

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