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Grippe

Grippe

Titel: Grippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wayne Simmons.original
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und schwankte heikel zwischen Leben und –
    George streckte sich nach ihm aus, als sich Norman plötzlich auf seiner Liege krümmte. Das Lachen ging in ein Husten über. Die Pappkisten neben ihm waren mit Blut bespritzt, das wie Tomatensoße aussah. George wischte ihm behutsam mit einem feuchten Pflegetuch für Kleinkinder die Lippen ab, ehe sich der ältere Cop wieder entspannte und lange ausatmete.
    »Scheiße, Mann«, fluchte er. Seine Heiterkeit war wie weggeblasen.
    Auch weiterhin holte er tief und mühselig Luft. Die Hustenkrämpfe waren so intensiv, dass man meinte, den Ausstoß greifen zu können. Er lag in den letzten Zügen auf der Schwelle ins ewige Was-auch-immer, das nach dem Leben folgte – beziehungsweise dem üblen Witz, zu dem die Infektion das Leben machte. Dennoch lachte der große Norman, wann immer er konnte. Er wollte jede Minute seines restlichen Daseins auskosten und jeden Atemzug, der ihm noch gegeben war. Es um ein paar Momente, wenige Sekunden verlängern. George brach es das Herz, seine Qual mitzuverfolgen.
    »Und dann, als wir zum Haus von diesem alten Knacker geschickt wurden«, fuhr er fort, indem er seinen spröden Lippen ein weiteres Lächeln abtrotzte. »Na, erinnerst du dich? Der schon etwa vier Wochen tot war, ehe die Nachbarn ihn gerochen haben …« Norman hustete wieder, wobei er die Augen zukniff und sich mit schmerzhaft verzogener Miene erneut krümmte. Wie Regentropfen auf Laub traten Schweißperlen an seiner Stirn hervor. George setzte sich neben ihn auf den kalten Betonboden und beugte sich mit einem frischen Tuch vor, diesmal um Normans Kopf ein wenig von der Hitze zu nehmen. »Und der Typ lag einfach nur da, nicht wahr?«, fragte Norman. »Lag mit heruntergelassenen Hosen da … und ’ ner Wäscheklammer auf dem Schniedel.«
    Sogar George musste bei dem Gedanken schmunzeln. Er sah den alten Herrn allzu deutlich vor sich. Er hatte jahrelang allein gelebt, ohne Verwandte und mit wenigen Freunden. Seine Bude hatte ausgesehen wie nach einem Bombeneinschlag, weshalb anzunehmen war, dass seine leidlich anständig bezahlte Haushaltshilfe ihre Arbeit nicht eben mit Leidenschaft erledigt hatte. George erinnerte sich daran, wie er die Gerichtsmediziner wegen der Wäscheklammer an der Vorhaut des Toten gefragt hatte; sie waren der Meinung gewesen, er habe so verhindern wollen, dass er sich einnässte. Anscheinend litt er nicht nur an Krebs, sondern war auch inkontinent, obwohl ihn am Ende ein Herzinfarkt dahingerafft hatte. George wusste noch, wie Norman daraufhin zuerst den Kopf geschüttelt und dann laut gelacht hatte.
    »Was man in diesem Metier so alles vor die Nase kriegt – nicht wahr, Partner?«
    »Du sagst es, Mann.«
    Norman bellte erneut, diesmal noch heftiger. »Du sagst es.« Er drehte George den Kopf zu und blickte schlagartig ernst drein. Dann streckte er die Hand aus, George nahm und drückte sie fest. Eisig war sie und feucht. Die Grippe entzog Norman den letzten Rest Wärme und Körperflüssigkeit. »Wir hatten ’ ne schöne Zeit, Kumpel«, sprach er weiter. »Aber ehrlich, am Anfang hab ich dich für ’ nen dummen Wichser gehalten: Regel und Vorschriften, mehr gab es für dich nicht, Mann. Bist keiner vom alten Schlag wie ich, der gern richtig in der Scheiße wühlt …«
    »Na ja, Norm. Ich hab es auf die harte Tour lernen müssen.«
    »Hast du, Kumpel, und trotzdem immer die Fassung bewahrt. Bist nie durchgedreht wie ich. Erst als –«
    »Nicht, Norman. Lass es ruhen.«
    »Ich kann nicht, Kumpel. Wir haben es noch nicht besprochen und –« Er hustete lauter und schmerzhafter. Es hörte sich an, als würge er Rasierklingen, als bestünden seine Lungen und Atemwege aus Stacheldraht, der ihn mit jedem Atemzug schwerer verwundete. »Und ich finde, das müssen wir noch«, hängte er leise mit brüchiger Stimme an.
    Er wurde immer fahler, als habe er ein Loch im Fuß, aus dem die Körperfarbe tropfte, um in irgendeinem unsichtbaren Abfluss zu versickern. Als sich Norman den Mund abputzte, blieb ein blutiger Speichelfaden wie die Schleimspur einer toten Schnecke an seinem Ärmel hängen. Er sah es und war selbst davon angewidert. George nahm ein Tuch und wischte es schnell wieder weg.
    Er dachte zurück an jenen schicksalhaften Tag, den besonderen Quarantänefall. George hatte ihn verdrängen wollen, abschütteln wie ein Hund die Nässe in seinem Fell, doch das was nicht so leicht. Sein Fell war zu dünn, sein Gewissen zu schwer, und dieses kleine Mädchen

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