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Grippe

Grippe

Titel: Grippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wayne Simmons.original
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nahm George mit übertriebener Sorge in Schutz, und jeder, der heimlich Bockmist über den Emporkömmling verzapfte, lief Gefahr, sich bei dem starken Mann eine blutige Nase einzufangen. Georges anhaltender, oftmals wohl auch belastender Erfolg beruhte zu einem großen Teil auf Normans Rückendeckung. Die beiden ergänzten sich sozusagen im Stillen, als bestünde ein ungeschriebenes Gesetz zwischen ihnen, das niemand je anzweifelte oder aussprach.
    Bis jetzt.
    »Ich nahm dir nie etwas krumm«, antwortete George, »aber du hast mich enttäuscht, Norman.«
    Da.
    Nun war es raus, und George kam sich beinahe wie ein Schwächling vor, weil es es so lange hinausgezögert hatte. Er fragte sich, was es ihm brachte, so etwas zu einem Sterbenden zu sagen. Jemandem am Ende seiner Kräfte, der wie ein betrunkener Obdachloser unter verschwitzter Decke in seiner eigenen Pisse und Kotze lag: Bestimmt hätte er es nicht getan, wenn Norman gesund gewesen wäre und stark genug, um aufzustehen und ihm von Angesicht zu Angesicht entgegenzutreten. Welchen Zweck hatte diese Offenbarung jetzt?
    Norman indes schien nichts in diese Richtung zu denken. Ihn plagten andere Dinge – wichtigere, die gesagt und aus der Welt geschafft werden mussten.
    »Sieh mich an, George«, verlangte er. Seine Stimme wurde leiser, der Atem immer flacher in seiner Brust.
    George beugte sich vor und sah dem Mann in die Augen, der fünf Jahre lang sein Partner gewesen war. Es ging zusehends bergab mit ihm. Ein Unterschied wie Himmel und Hölle bestand zwischen diesem Anblick und dem, als er ihm das erste Mal begegnet war. Dem respekteinflößenden Mann, der bedrohlichen Gestalt. Diese Attribute trafen nun nicht mehr auf Norman zu, wie er notdürftig in einen besudelten Schlafsack gehüllt auf seinem Behelfsbett lag. Die Tüte mit dem Pulver befand sich offen vor ihm, und ihr Reinheit versprechendes Weiß wetteiferte mit seinem blassen Teint.
    »Du musst zurück zu dem Apartment … und die Sache mit dem kleinen Mädchen zu Ende bringen. Ich kann nicht ruhen, bis ich weiß, dass sie nicht wie diese toten Säcke herumlaufen muss …«
    »Norman, es ist zu –«
    »Versprich es mir, George!«, flehte er. Seine großen, schwermütigen Augen glänzten vor Tränen.
    George hatte ihn bis zum heutigen Tag nicht weinen sehen und bezweifelte, dass er überhaupt dazu in der Lage war.
    Er gab augenblicklich nach: »Okay, ich mach es.«
    Norman nickte und wirkte gleich ein wenig ruhiger, nachdem er seinen Teil gesagt und Georges Schwur gehört hatte. Er schien den Tod mit offenen Armen zu empfangen, dem ewigen Gleichmacher eine private Audienz durch die Pforten des Lebens zu gewähren. Seine Hand langte in den durchsichtigen Beutel auf seinem Schoß. Sein Mund stand offen, und in den Winkeln klebte Blut, dickflüssig wie Gelee. Er steckte die Finger in das Pulver, ungehobelt wie eine Naschkatze beim Konditor. Wild sah er aus, verzweifelt und vom Schmerz gebeutelt. George kannte diesen Gesichtsausdruck, weil er ihn schon bei anderen Sterbenden gesehen hatte: Fatalismus. Akute Selbsterkenntnis. Ein letztes Mal schwelgen, weil sowieso alles scheißegal war.
    Er zog das Koks durch ein Nasenloch hoch wie ein beinahe Ertrunkener die frische Luft nach dem Auftauchen, und dann, als er die Schlacht um den finalen Genuss ausgefochten hatte, zitterte seine Hand noch einmal kurz, ehe er sie hängenließ. Das Kinn ruhte auf einer Schulter, der Blick noch immer hungrig in der Ferne. George fragte sich, ob er das Ende richtig mitbekommen hatte.
    Andächtig trat er vor seinen Freund und nahm ihm die Droge aus den Händen, ehe er die Reste mit einem feuchten Tuch von Nase und Mund entfernte. Auch den Schlafsack putzte er ab, auf dem das Kokain wie Talkum aussah. Seinen Kragen, die Brust des Hemdes und sein Abzeichen. Dann knüllte er das Säckchen mit dem Tuch zusammen und steckte beides in eine andere Plastiktüte, die er in die Ecke warf, als wolle er sie später entsorgen.
    Schließlich hockte er sich wieder auf den Beton und ließ die Finger durch Normans Haar gleiten. Die vom Schweiß verfilzten Strähnen waren dick wie Schilf in einem Teich.
    »Es tut mir so leid, Partner«, sagte er bloß. »So schrecklich leid.«

    McFall hob den vertrockneten Teebeutel hoch, den er immer wieder wie eine Katze, die nicht von einer toten Maus ablassen konnte, verwendet hatte, hängte ihn in die Tasse und trat zurück, als sei sie hochexplosiv. Dann goss er den letzten Rest des wie immer auf dem Kocher

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