Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
lässt sie ziehen?«, fragte ich. »Alle?«
»Wir brauchen den Fährtensucher«, sagte der Dunkle. »Wegen des Feuervogels.«
»Nein. Ihn musst du freigeben. Du bekommst nur einen von uns beiden.«
Der Dunkle überlegte kurz, dann nickte er. Er glaubte wohl, später eine Möglichkeit zu finden, um Maljen doch noch in seinen Dienst zu pressen. Sollte er das meinetwegen glauben. Ich würde es zu verhindern wissen.
»Ich bleibe«, sagte Maljen durch zusammengebissene Zähne.
Ich drehte mich zu Tolja und Tamar um. »Bringt ihn fort von mir. Und wenn ihr ihn tragen müsst.«
»Alina …«
»Wir gehen nicht«, sagte Tamar. »Wir haben dir Treue geschworen.«
»Ihr werdet gehen.«
Tolja schüttelte den massigen Schädel. »Wir sind dir mit unserem Leben verpflichtet. Wir alle.«
Ich sah ihnen ins Gesicht. »Dann befolgt meine Befehle«, sagte ich. »Tolja Yul-Baatar und Tamar Kir-Baatar, ich befehle euch, diese Menschen in Sicherheit zu bringen.« Ich rief das Licht so auf, dass es mich umgab wie ein strahlender Heiligenschein. Ein billiger, aber kein übler Trick. Nikolaj wäre stolz gewesen. »Enttäuscht mich nicht.«
Tamar hatte Tränen in den Augen, verneigte sich jedoch gemeinsam mit ihrem Bruder.
Maljen hakte sich bei mir unter und drehte mich grob zu sich um. »Was tust du da?«
»Ich will es tun.« Ich muss es tun. Und es war inzwischen egal, ob meine Gründe selbstloser oder egoistischer Natur waren.
»Ich glaube dir nicht.«
»Ich kann weder vor dem wegrennen, was ich bin, noch vor dem, was ich bald sein werde, Maljen. Ich kann mich nicht wieder in die Alina verwandeln, die ich früher war, aber ich kann dich freigeben.«
»Aber du kannst … wie kannst du dich für ihn entscheiden?«
»Ich habe keine andere Wahl. Dies war mir bestimmt.« Und das traf zu. Das sagten mir der Halsreif und das Gewicht des Schuppenarmbands. Zum ersten Mal seit vielen Wochen empfand ich wieder so etwas wie Stärke.
Er schüttelte den Kopf. »Das ist doch Irrsinn.« Als ich ihm ins Gesicht sah, wäre ich beinahe eingeknickt. Er wirkte verloren, verwirrt, wie ein kleiner Junge, der vor den Ruinen seines niedergebrannten Dorfes stand. »Bitte, Alina«, sagte er leise. »Bitte. Soll es wirklich so enden?«
Ich legte ihm eine Hand auf die Wange und hoffte, dass er verstand, vertraute auf das Band zwischen uns. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste die Narbe auf seinem Kinn.
»Ich habe dich mein Leben lang geliebt, Maljen«, flüsterte ich mit tränenerstickter Stimme. »Unsere gemeinsame Geschichte wird nie enden.«
Ich trat zurück, prägte mir die Züge seines geliebten Gesichts ein. Dann wandte ich mich ab und ging, ohne zu zögern, durch die Kapelle. Maljen hatte sein Leben vor sich. Er würde es mit Sinn füllen. Ich musste meinen suchen. Nikolaj hatte mir die Chance geben wollen, Rawka zu retten, meine Fehler gutzumachen. Aber dieses Geschenk konnte mir nur der Dunkle machen.
»Alina!«, rief Maljen. Ich hörte dumpfe Geräusche hinter mir und ahnte, dass Tolja ihn festhielt. »Alina!« Seine Stimme glich frischem, hellem Holz, das aus dem Herzen eines Baumes gerissen worden war. Ich drehte mich nicht um.
Der Dunkle stand da und erwartete mich, umwabert von seiner Leibgarde aus Schatten.
Ich fürchtete mich, aber hinter der Furcht war ich begierig.
»Wir gleichen einander«, sagte er, »wie sonst niemand, weder jetzt noch in Zukunft.«
Ich spürte deutlich die Wahrheit seiner Worte. Gleiches ruft Gleiches.
Er streckte mir eine Hand hin und ich ließ mich von ihm in die Arme nehmen.
Ich legte ihm eine Hand auf den Nacken, spürte seine kurzen, seidigen Haare an den Fingerspitzen. Ich wusste, dass Maljen zuschaute. Er musste gehen. Ich sah zum Dunklen auf.
»Meine Macht ist dein«, flüsterte ich.
Ich sah den Triumph und den Rausch der Begeisterung in seinem Blick, als er den Mund zu mir hinabsenkte. Unsere Lippen berührten sich und die Verbindung zwischen uns tat sich auf. So hatte es sich nicht angefühlt, als er mir wie eine Vision erschienen war. Diese Berührung war echt und ich konnte mich darin verlieren.
Macht durchströmte mich – die Macht des Hirsches, dessen starkes Herz in unseren Körpern schlug, das Leben, das er genommen hatte, das Leben, das ich hatte retten wollen. Aber ich spürte auch die Macht des Dunklen, die Macht des Schwarzen Ketzers, die Macht der Schattenflur.
Gleiches ruft Gleiches . Das hatte ich gespürt, als die Kolibri in die Schattenflur eingetreten war,
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